In rechten Kreisen kursieren Handbücher für Hassrede, die erklären, wie man Menschen online systematisch zerstört und zum Schweigen bringt. Jede Äußerung im Internet kann eine Welle von Hass nach sich ziehen. Jana Ballweber kommentiert in der Frankfurter Rundschau die Vorschläge des Bundesjustizministers Marco Buschmann:
„Ein Gesetz gegen Hass im Netz ist zwar überfällig, doch Buschmanns Entwurf verteilt Schritte gegen digitale Gewalt mit der Gießkanne, statt maßgeschneidert gegen die verschiedenen Vergehen vorzugehen. Der Kommentar.
Digitale Gewalt hat viele Ausprägungen. Rechte Trolle verabreden sich zu Shitstorms; Männer spielen ihren Partnerinnen Überwachungssoftware aufs Handy, um sie zu kontrollieren; private Daten werden veröffentlicht, um Menschen zu gefährden. Der Justizminister will Opfer digitaler Gewalt besser schützen. Ein Gesetz, das allen Formen mit maßgeschneiderten Mitteln etwas entgegensetzt, ist überfällig, um den digitalen Raum und damit die demokratische Teilhabe für alle zu sichern.
Doch stattdessen verteilt der Entwurf politische Maßnahmen mit der Gießkanne. Account-Sperren dürften in den meisten anonymen, organisierten Hasskampagnen wirkungslos sein. Das Recht, Auskunft über IP-Adressen von „Täter:innen“ zu erlangen, könnte in gleichem Maß für Todesdrohungen wie für gefälschte Restaurantbewertungen gelten. Messenger-Dienste werden ähnlich behandelt wie soziale Netzwerke, obwohl es deutliche Unterschiede bei den Dynamiken digitaler Gewalt gibt.
Gleichzeitig schwächt der Entwurf die Anonymität im Netz, was Opfer benachteiligt, die sich selbst schlechter schützen können, und ein mögliches Einfallstor für staatliche Überwachung wäre. Auf eine wirksame politische Regulierung müssen Betroffene also weiter warten.
Fachleute halten die Eckpunkte des Bundesjustizministers gegen Gewalt im Netz für nicht besonders wirksam. Denn Menschen hätten ohnehin mehrere Online-Profile“.
Markus Decker von der Frankfurter Rundschau erläuterte den Kontext:
„Das Eckpunkte-Papier von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) für ein entsprechendes Gesetz zur Eindämmung von Hass im Netz ist bei Fachleuten auf prinzipielle Zustimmung gestoßen. Allerdings fordern sie Nachbesserungen.
Aus den Eckpunkten ergibt sich, dass Betroffene von „schwerwiegenden Persönlichkeitsverletzungen“ unter gewissen Voraussetzungen per Gericht die Sperrung eines Accounts verlangen können. Eine Sperrung müsse laut Entwurf freilich verhältnismäßig sein und dürfe nur erfolgen, wenn andere Möglichkeiten wie die Löschung eines Beitrags nicht ausreichten. Zuvor soll der Inhaber oder die Inhaberin des Accounts von der jeweiligen Plattform auf ein Sperr-Ersuchen hingewiesen werden und Gelegenheit zu Stellungnahme haben. Buschmann will es Betroffenen ferner erleichtern, die Identität des Menschen zu erfahren, der Hass-Beiträge gegen sie verfasst hat.
Er betonte, bei dem Vorhaben gehe es nicht darum, die Meinungsfreiheit einzuschränken. „An den Spielregeln des demokratischen Diskurses wird das Gesetz nichts ändern. Was heute geäußert werden darf, darf auch künftig geäußert werden.“ Verringert werden solle aber der Aufwand für diejenigen, die im Internet bedroht, verleumdet oder beleidigt würden. Betroffene hätten es „oft unnötig schwer, ihre Rechte selbst durchzusetzen“, sagte der FDP-Politiker.
SPD, Grüne und FDP hatten in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt, Opfer digitaler Gewalt mit einem Gesetz besser zu schützen. Viele Politiker:innen sind auch selbst betroffen und versuchen, mit juristischen Mitteln gegen entsprechende Posts und ihre Urheber vorzugehen – so etwa die Grünen-Bundestagsabgeordnete und ehemalige Verbraucherschutzministerin Renate Künast. Die Sprecherin der Nichtregierungsorganisation Hate Aid, Josephine Ballon, sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland:
„In der aktuellen Ausgestaltung gehen wir nicht davon aus, dass die Accountsperren eine besonders große praktische Relevanz haben werden.“ Schließlich müsse man sich „vergegenwärtigen, dass viele Menschen ohnehin mehrere Profile haben und sich innerhalb von wenigen Minuten mit anderen Daten auch einfach einen neuen Account anlegen können. Insofern ist bereits der konkrete Nutzen einer solchen Sperre fraglich.“
Aus prinzipiellen Gründen seien die hohen Hürden aber richtig, so Hate Aid. Dabei plädiert die Organisation nur dafür, dass bei Bedarf nicht allein Einzelpersonen, sondern auch NGOs gegen Accounts vorgehen können.
Bei der Erteilung von Auskünften über die Daten von Inhaber:innen der Accounts müsse noch „konkretisiert werden, wie Betroffene letztlich an die Daten gelangen“, so Ballon weiter. Ansprüche müssten möglichst in einem Durchgang geltend gemacht werden können. Und um die Kosten für Betroffene zu reduzieren, wenn sie juristisch tätig würden, sei es ratsam, den Gegenstandswert der Verfahren pauschal festzulegen, zum Beispiel auf 250 Euro. „Das würde die Kosten wenigstens senken, da aktuell von zirka 5 000 Euro pro Äußerung ausgegangen wird.“
Hate Aid fordert die Einführung eines gesetzlichen Schmerzensgeldanspruchs sowie einheitlicher elektronischer Anzeigenformulare. Es sei „nicht mehr zeitgemäß“, dass ein schriftlicher – sprich: analoger – Strafantrag gestellt werden müsse, heißt es.Der Kampf gegen Hass im Netz wird von wechselnden Bundesregierungen seit Jahren mit durchwachsenem Erfolg geführt. So sieht das Netzwerkdurchsetzungsgesetz zwar die Löschung rechtswidriger Inhalte vor. Messengerdienste wie Telegram oder digitale Netzwerke kommen dem indes nur ungenügend nach“.
"Hilfe bei Cyberattacken"
"Welche Cyberattacken es gibt und was sie bedeuten"
|