Das ist nicht zu fassen: In Deutschland fehlen knapp 14.500 Lehrkräfte an den Schulen – und etliche Bundesländer schicken ihre Referendare, befristet eingestellte Lehrkräfte und Honorar-Lehrkräfte während der Sommer-Schulferien in die Arbeitslosigkeit. Beziehungsweise zur Arbeitsagentur, um sich arbeitslos zu melden und wenigstens Bürgergeld zu bekommen. Gewerkschaften finden das nicht nachvollziehbar - vor allem vor dem Hintergrund des dramatischen Lehrkräftemangels. Es ist grotesk – und gegenüber den Lehrenden krass unfair und politisch unklug, um nicht zu sagen: dumm.
Denn es wird die Motivation für den Lehrberuf nicht steigern. Und wer schon mal davon gehört und gelesen hat, wird den Beruf ganz meiden. Bei Referendaren sieht das so aus: Die zweite Phase der Ausbildung nach dem Studium mit praktischem Einsatz in der Schule, wird auch Vorbereitungsdienst genannt. Dauer je nach Bundesland 12 Monate (z.B. Brandenburg) bis 24 Monate (z.B. Bayern und Thüringen), in den meisten Ländern sind es 18 Monate wie in Baden-Württemberg. Vergütung abhängig von Bundesland und Schulform. Der "Anwärtergrundbetrag" liegt laut GEW zwischen 1.426 € und 1.595 € brutto (Stand Oktober 2021). Von wegen vermindert einsatzfähig wegen Lernprozess: Der Lehrermangel führt oft dazu, dass Referendare volle Leistung bringen müssen.
Der Bundesverband der GEW hat eine Umfrage innerhalb der eigenen Landesverbände gemacht. Laut dieser gibt es unter anderem in Bayern, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein keine Gehaltslücke für Referendarinnen bzw. sind sie dort durchgehend beschäftigt. In anderen Bundesländern gibt es kürzere Lücken als die sechs Wochen Sommerferien. In anderen beträgt die Lücke sogar bis zu sechs Monaten. Das liegt an den unterschiedlich langen Referendariaten.
Der deutsche Lehrerverband verurteilt, dass Referendare mehr oder weniger lang auf Bürgergeld angewiesen sind. Es sei ein leidiges Thema. "Wer an Werktagen und Wochenenden für ein Bundesland gearbeitet hat, ihm und seinen Kindern gedient hat, der hat die Bezahlung der Sommerferien verdient", so der Präsident des Lehrerverbandes Stefan Düll. "Stattdessen schicken Bundesländer wie beispielsweise Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen oder Nordrhein-Westfalen die frisch gebackenen Lehrerinnen und Lehrer zunächst in die Arbeitslosigkeit. Wertschätzung sieht anders aus".
Vor dem Hintergrund des dramatischen Lehrkräftemangels sei das Verhalten einiger Bundesländer nicht nachvollziehbar, so der GEW-Bundesverband. Und der Lehrkräftemangel ist auch in Baden-Württemberg groß. Das Land hat aktuell gleich zwei Werbekampagnen gestartet, um neue Interessenten für den Job zu begeistern. Sowohl das Wissenschaftsministerium als auch das Kultusministerium werben mit Slogans wie: "Lieber Lehramt" und "Lust auf Veränderung? Dann werde Lehrkraft."
Dass die Referendarinnen und Referendare die Sommerferien über auf Bürgergeld angewiesen seien, sei kein Widerspruch dazu. Nach den Sommerferien hätten diese eine lebenslange Jobgarantie, wenn sie ein gewisses Maß an örtlicher Flexibilität zeigen würden. So das Kultusministerium. "Sie erhalten ein sehr attraktives Gehalt, eine private Krankenversicherung, Beihilfe, Familienzuschläge und eine Pension im Alter." Alles in allem sei das ein hervorragendes Angebot, das auch nicht im Widerspruch dazu stehe, mehr Personen für ein Lehramtsstudium beziehungsweise für eine Tätigkeit als Lehrkraft zu begeistern. Die Werbekampagne koste so viel wie eine einzige Lehrerstelle für etwas mehr als zwei Jahre.
Man spare über die Sommerferien kein Geld ein, da man die Referendarinnen und Referendare nicht entlasse, sondern deren Arbeitsvertrag auslaufe.
Arbeiten ohne Bezahlung
Außerdem dürften die Referendare formal das Schulgebäude während der Sommerferien nicht betreten, weil sie nicht dort angestellt sind. Sie müssten aber, weil vor Schuljahresbeginn schon Konferenzen stattfinden. Und sie müssen unbezahlt im Sommer für die Schule arbeiten, so wie Referendar David Hanke. "Wenn man mit einem vollen Deputat wieder anfängt und dann nachher 25 Stunden in der Woche unterrichten soll, müssen die auch irgendwann vorbereitet werden."
Diese Praktiken der Kultusministerien gibt es schon seit Jahrzehnten. Lehrer und Lehrerinnen und Sparbrötchen der Landeshaushalte – bei gutem Einsatz für Schule, Unterricht, Schüler und Eltern.
Wer mehr Lehrkräfte händeringend sucht, sollte diese Praktiken schleunigst beenden und mehr Wertschätzung signalisieren und umsetzen. Sonst bleiben die Kultuspolitiker und -minister unglaubwürdig. Und der Lehrberuf unattraktiv. Fairness und Klugheit gehen anders.
(mit Material der Tagesschau)
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