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04.01.2016 11:57
Ist der Sinn für Fairness kulturell verschieden geprägt?  

Der Sinn für Fairness ist nicht in allen Kulturen gleichermaßen ausgebildet. Am stärksten reagiert das eigene Fairness-Empfinden, wenn man selbst von Unfairness betroffen ist. Und dass scheint es in allen Kulturen zu geben. Doch ein Fairness-Gespür für die Unfairness anderen gegenüber gibt es nur in wenigen Kulturen und ist sehr unterschiedlich ausgeprägt.

Studien hatten bisher schon bei Kindern im Alter von drei bis fünf Jahren nachgewiesen, dass sie einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn haben und sich auch für die Opfer von Ungerechtigkeiten einsetzen. Allerdings waren die bisherigen Studien vor allem auf westliche Kulturen konzentriert und hatten andere Kulturkreise nicht genügend berücksichtigt. Unklar war deshalb bisher, ob sich der scheinbar weltweit vorhandene Sinn für gerechtes Teilen bei Kindern aller Kulturen auf dieselbe Art und in vergleichbarem Alter entwickelt.

Der Psychologe Peter Blake von der Boston University und seine Kollegen wiesen nun durch Untersuchungen mit Hilfe von Süßigkeitsverteilungen nach, dass der Gerechtigkeitssinn bei Kindern von der Kultur abhängt. Alle Kinder pochen vor allem dann auf Gerechtigkeit, wenn sie von Benachteiligung selbst betroffen sind. Nur in wenigen Kulturen protestieren sie gegen unfaire Verteilungen, die ihnen selbst einen Vorteil bringen. Ein Sinn für Gerechtigkeit existiert demnach in allen Kulturen – er entwickelt sich aber in unterschiedlichem Alter und auf unterschiedliche Weise, beschreiben die Forscher im Journal "Nature".

Die ersten Unterschiede zeigten sich je nach Alter der Kinder: Jüngere Kinder wiesen schnell Verteilungen zurück, bei denen das andere Kind mehr erhielt als sie selbst. Ab einem Alter von etwa acht Jahren verwarfen die Kinder aber auch dann die Süßigkeiten, wenn das andere Kind deutlich weniger als sie erhalten sollte. „Es war ein ziemlich überraschendes Resultat, dass Kinder ein solches Opfer eingehen“, meint Blake. „Als wir sie nach dem Grund fragten, sagten sie, es sei nicht fair“.

Die Untersuchungen fanden in der Bostoner Region statt sowie an insgesamt bei über 1.600 Kindern aus Kanada, Indien, Mexico, Peru, Senegal, Uganda und den USA. Die Experimente mit den Kindern zwischen vier und fünfzehn Jahren ergaben. Sobald das andere Kind weniger Süßigkeiten erhalten sollte, zeigten sich jedoch überraschenderweise nur Kinder aus Kanada und den USA sowie aus Uganda solidarisch und verzichteten aus Fairness-Gründen auf den eigenen Vorteil. Die Forscher nehmen daher an, dass der Sinn für diese Form der Ungerechtigkeit eher kulturell geprägt ist, als der universell vorhandene Widerstand gegen den eigenen Nachteil.

Den Forschern war es wichtig zu betonen, dass ihre Ergebnisse nicht zwangsläufig bedeuten, bestimmte Kulturen seien egoistischer als andere. „Wir behaupten nicht, dass die Abneigung gegen den eigenen Vorteil durch Ungleichheit in diesen Kulturen nicht existiert“, sagt Studienleiter Felix Warneken von der Harvard University in Massachusetts. „Es kann sein, dass Kinder in den USA und Kanada schon früh darauf gebracht werden, und dass es in anderen Kulturen erst später auftritt“. Die teilnehmenden Kinder aus Uganda waren außerdem an ihrer Schule auch von westlichen Lehrern unterrichtet worden, was sie entsprechend kulturell mitgeprägt haben könnte.

„Ein wichtiger Hinweis ist, dass wir nur eine begrenzte Zahl Kulturen überprüft haben“, fügt Erstautor Blake hinzu. „Wir haben zum Beispiel keine Jäger-und-Sammler-Kulturen untersucht. So ist es gut möglich, dass wir dieses Phänomen auch in solchen Kulturen antreffen“. Die bisherigen Ergebnisse seien jedoch ein wichtiger erster Schritt, die kulturellen Ursprünge des Gerechtigkeitssinnes besser zu begreifen. Die gefundenen Unterschiede und Prozesse sollen auch die Auswahl untersuchter Kulturen in zukünftigen Studien erleichtern.

Quelle: Nature, 2015; doi: 10.1038/nature15703; Harvard University / Boston College, 23.11.2015 - AKR

"Ist Fairness kulturabhängig?"

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