Spitzensportler und doch keinen Erfolg auf Dauer. Die Olympiade 2012 in London sieht schön aus, aber sie hat einen starken Schatten. Olympische Sommerspiele glitzern, aber hinter der Kulisse geht es wüst zu.
Die meisten (deutschen und anderen) Spitzensportler begnügen sich mit Einkommen deutlich unter 2000 Euro pro Monat und werden voraussichtlich ihr Lebtag in spartanischen ökonomischen Verhältnissen bleiben. Etwa 50.000 ehemalige Olympioniken weltweit leben unterhalb der Armutsgrenze.
Das berichtet Dr. Pia-Maria Wippert (Professorin an der Universität Potsdam) und ehemals selbst alpine Leistungssportlerin in einer aktuellen Studie.
Die Sportsoziologin hat die wichtigsten Gründe untersucht: 1. „Das System, in dem Spitzensportler heranreifen, "ist straff und autoritär organisiert. Kontinuierlich gibt es tägliche Trainings-, Ernährungs-, Wettkampf- oder Abmeldepläne; selbst die Kleidung ist vorgegeben. Das hat den Vorteil, dass der Athlet zur aktiven Zeit neben dem Training auch medizinisch gut betreut und überwacht ist. 2. Es hat aber auch den Nachteil, dass freies Denken und Handeln nur bis zu einem gewissen Grad möglich ist. Die Gewöhnung an viele Mitdenker, die Abgabe von Eigenverantwortung wird insbesondere beim Eintritt des Karriereendes zum Problem. Auf den meist ohne Übergang stattfindenden Wegbruch der institutionellen Organisation und die gesicherte Versorgung der Person sind viele Athleten nicht vorbereitet. Sie sind zum Teil nicht einmal in der Lage, sich selbst und den eigenen Tagesablauf zu organisieren. 3. Einige Athleten bringt die ´Freiheit´ oder ´institutionelle Freisetzung´ am Karriereende deshalb vorübergehend in eine schwierige Situation - selbst wenn sie beruflich in sportsysteminternen Einrichtungen bleiben können bzw. eine duale Karriere geschafft haben. Die sinnvolle Nutzung der freien Zeit bleibt erstmals ungelöst. Hinzu kommen psychische und soziale Umbauprozesse im Sinne eines neuen Identitäts- und Netzwerkaufbaus. 4. Wer 20 Jahre in einer speziellen Welt mit eigenen Regeln lebt, hat es schwer, sich nach der Karriere nahtlos in der ´normalen Welt´ mit den dort gegebenen Codes zurechtzufinden ... Ganz allgemein fällt auf, dass ehemalige Spitzensportler aus systeminternen Einrichtungen mehrere Jahre nach ihrem Karriereende eine enorme Anzahl an Umschulungen, Zusatzqualifikationen und Fortbildungen hinter sich bringen, ohne je beruflich anzukommen". Pia-Maria Wippert sieht einen dringenden psychosozialen Trainingsbedarf für die Betroffenen und hat dazu ein wissenschaftlich fundiertes Programm entworfen. In Österreich und der Schweiz wird es inzwischen erfolgreich eingesetzt, von den zuständigen Funktionären in Deutschland jedoch ignoriert. Olympia ist eher ein Festspiel der Funktionäre: Sie sind hochdotiert, teils millionenschwer und erfreuen sich günstiger ökonomischer Prognosen. Vieles am Spitzensport ist Blendwerk: für die Sportler selbst und für die Sportfans. Für die Funktionäre ist es ein Sonnenbad in der Menge und in guten Dotierungen.
Der deutsche Sprinter Tobias Unger hat gegenüber der Südwest Presse kritisiert, dass frühere Doping-Sünder bei Olympischen Spielen wieder starten dürfen: „Ich persönlich finde die Regelung unglücklich, dass man Leute nach einem Dopingvergehen wieder bei Olympischen Spielen laufen lässt“, sagte der 33-Jährige der Ulmer. „Der lebenslange Olympia-Bann wurde vom Internationalen Sportgerichtshof CAS ja wieder gekippt. Dabei geht es doch gerade bei Olympia immer auch um Fairplay und Vorbildfunktion.“ Der siebenfache deutsche Freiluft-Meister über 100 und 200 Meter argumentierte, dass „die Abschreckung auf jeden Fall größer wäre, wenn man jemandem im Fall des Falles verbietet, an Olympia teilzunehmen. Der Start bei den Spielen steht für jeden Athleten über allem.“
Der für den VfB Stuttgart startende Sprinter wird in London zumindest in der deutschen 4 x 100-Meter-Staffel mitlaufen und damit an seinen dritten Olympischen Spielen teilnehmen. Dass auch frühere Doping-Sünder wie Dwain Chambers (Großbritannien) oder Justin Gatlin (USA) dabei sein werden, stört Unger jedoch. „Ich kenne Justin inzwischen wirklich ganz gut“, sagte er. „Er ist eigentlich ein super netter Kerl - wäre da nur nicht dieser starke Kratzer im Lack. Deshalb sollten Leute wie er in London zuschauen. Die werden ja zu den großen Meetings eingeladen und können auch dort Geld verdienen.“ Vor allem der Gebrauch von Doping-Mitteln ist ein eklatanter Verstoß gegen den Geist des Fair Play und die Grundsätze des Deutschen Sportbundes. Auf diesem Feld ist noch viel zu tun, doch bei der Fixierung auf Sieger und Medaillenspiegel wird die Eskalation immer weiter gehen. Tobias Unger hat Recht: Dopingbekämpfung und Fair Play verlangen Konsequenz. Keine Pause für Dopingsünder, sondern Laufbahnende, und honorarlohnende Rückkehr in den Wettkampf. Dann erst werden Antidopingkampf und Fair Play ernst genommen.
2010 hat Norbert Müller, Sportwissenschaftler und Berater des Papstes, das Dopingproblem jedoch für die Zukunft sehr pessimistisch eingeschätzt: „Die Dopingproblematik ist in ihrer rasanten Fortentwicklung nicht mehr in den Griff zu bekommen. Wenn wir Gendoping als nächste Stufe anschauen, dann ist das eine kaum vorstellbare Dimension, die man sich ganz deutlich vor Augen führen muss: Ein gen-gedopter Sportler ist als Mensch irreversibel verändert bis in seine Nachkommenschaft - und das ist dann eine grundsätzliche ethische Frage, besonders für die Kirchen. Sie müssten eine ganze Uniklinik marschieren lassen, wenn sie das wissenschaftlich in den Griff bekommen wollten.
Der Sport in seiner derzeitigen Struktur ist außerdem mit den Kosten solcher Maßnahmen völlig überfordert. Wir laufen Dingen hinterher, die uns aus der Hand geschlagen worden sind, und wir verteidigen im Namen des Olympismus Werte, die von vielen nur noch als Alibi gesehen werden“.
Unfair bleibt das Verhältnis zwischen Funktionären und Spitzensportlern, wenn es nicht besser austariert wird. Fair Play würde hier bedeuten: frühzeitige Unterstützung der Sportler beim Aufbau eines Berufs neben der Sportkarriere, Mäßigung des Drucks zu Siegen, Achtung der Sportler jenseits des Siegertreppchens und Aufklärung der Sportkarrierestarter über Probleme bei Karriereende. Sonst wird der Sport zum Sieg der Funktionäre und der Gentechniker über die Sportler.
http://www.swp.de/ulm/sport/sonstige/ueberregional/Tobias-Olympia-Doping-Interview;art4352,1547510
Hinweis: Pia-Maria Wippert: Kritische Lebensereignisse in Hochleistungsbiographien. Untersuchungen an Spitzensportlern, Tänzern und Musikern. Pabst, Lengerich/Berlin/Wien, 316 Seiten, ISBN 978-3-89967-493-4
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