Blog-Artikel

17.12.2014 17:19
Schrei nach Fairness  

Hannes Koch schrieb im Schwäbischen Tageblatt: "In der deutschen Wirtschaft passiert etwas. Ingenieure vermarkten innovative Produkte, Firmengründer stellen interessante Geschäftsmodelle auf die Beine, Investoren geben Hunderte Millionen Euro für Gründerfirmen aus – und Unternehmen wie Zalando gehen an die Börse.

Der Internet-Händler vor allem für Schuhe und Kleidung, bekannt für seine Werbe-Kampagne „Schrei vor Glück“, will möglicherweise in diesem Herbst große Summen von Aktionären einsammeln. Diese Dynamik hat auch Schattenseiten. Denn nicht selten bilden sich die Inhaber der Firmen ein, sie könnten alles neu machen, nicht nur die Produkte und den Verkaufsweg, auch die Arbeitsbedingungen. So warf die Gewerkschaft Verdi der Firma Zalando vor, die soziale Sicherheit der Beschäftigten zu untergraben: Im Verteilzentrum Erfurt sei kein Betriebsrat vorhanden, viele Beschäftigte würden nur befristet arbeiten und litten unter hohem Druck, der Lohn läge im Umkreis von neun Euro pro Stunde.

Billig-Bedingungen mögen in den Anfangsjahren eines Unternehmens funktionieren. Wird es aber größer und ist als Aktiengesellschaft stärker von öffentlicher Zustimmung abhängig, geht das nicht mehr. Deshalb wird sich die Gewerkschaft mit ihrer Forderung nach einem Tarifvertrag auch bei Zalando schließlich durchsetzen. Sollten die künftigen Inhaber das Gegenteil annehmen, wäre das nicht nur sozial, sondern auch betriebswirtschaftlich waghalsig". Koch titelte seinen Beitrag zu Recht mit "Schrei nach Fairness".

Grundsätzlich hat sich bis heute nichts an der Situation geändert. Also: Augen auf beim Weihnachtskauf - gerade auch online.

Auf Zalandos Website liest sich das dann wie ein Text mit doppeltem Sinn: "An Zalandos Erfolgsgeschichte schreibt jeder Mitarbeiter jeden Tag ein bisschen mit. Wir sind stolz darauf, dass wir ein starkes, internationales Team sind, das vielversprechende Ideen schnell umgesetzt und stets neue Wege eingeschlagen hat, um gemeinsam die beste Lösung zu finden".

Der Wirtschaftsethiker Birger Priddat sagte im Deutschlandradio über das Buch "Schrei vor Glück" des Wirtschaftsjournalisten und Textilbranchenkenner von Hagen Seidel: "Der Mann wiederholt sich natürlich häufig. So viele Informationen gibt’s gar nicht, dass man ein ganzes Buch draus machen kann. Die Firma ist ja noch klein. Es ist aber gut geschrieben und man kriegt einen Eindruck über diese Dimension.

Ich nenne mal zwei Dimensionen. Die eine ist nachher nämlich die Grundfrage: Was heißt das eigentlich, "Netzkauf"? Was ändert sich da in der Kultur? Da gehen wir gleich drauf ein. Jetzt erst mal die Firma: Das sind zwei Jungs, kümmern sich überhaupt nicht um die sonstige Wirtschaft, gehen auch nicht zur Handelskammer oder so hin, weil, da sagen sie immer, "dicke alte Männer mit Schlipsen, mit denen sie sich nicht unterhalten können und die nicht verstehen, was sie machen". Es sind so eine kleine junge Truppe, 29 ist schon für die Jungen, für die Startups schon alt, aber sie sind gut drauf und haben begonnen eine ganz verrückte Idee. Die beiden mochten lateinamerikanische Länder, haben also Facebook als Deutsche in lateinamerikanischen Ländern selbständig machen wollen – haben sogar dafür ein paar Hunderttausend gekriegt. – Ist völlig gescheitert, weil keiner von denen dort zahlt, unzuverlässig und deswegen keine Werbung. Aber sie hatten trotzdem den Mut zu sagen, wir sind so gescheitert, jetzt trauen wir uns richtig was.

Und das ist natürlich eine Haltung, die wir in Deutschland kaum kennen. Und haben dann etwas begonnen, wovon sie keine Ahnung haben, hatten und bis jetzt auch noch fast keine haben, Schuhe zu verkaufen. Das sind zwei Betriebswirte, die aber von dem Produkt keine Ahnung haben. Und alle Schuhhändler haben auch gesagt, es wird nie was. Aber sie haben eine Idee, die, also einer der Samwer-Brüder, diese berühmten Financiers, die haben sozusagen so viel Projekte schon gemacht, dass sie dauernd neue solche Projekte finanzieren… Deren Idee ist im Grunde, also, das ist ein bisschen arrogant, das gehört anscheinend zum Geschäft, die sagen: Was wollt ihr? Die Welt beherrschen. Das heißt, wir wollen größer als Amazon werden, fertig. Das ist das einzige Ziel, was wir machen – weltweit als deutsche Firma. Da werden wir den Amerikanern mal zeigen, wo die Harke steht.

Solche Ziele haben die und so arbeiten die, so denken die. Das heißt, immer groß, groß, groß, bloß nicht klein, also nicht ein Schuhgeschäft machen, sondern gleich den gesamten Schuhhandel Deutschlands einmal übernehmen.

Das dauert. Das dauert fünf Jahre, sechs, sieben Jahre. Und jetzt haben sie natürlich, jetzt kommt das Internet: Die meisten Schuhhändler sind Einzelhandelshäuser oder Ketten, die alle nicht wissen, wie Internet geht, also die meisten. Es gibt einen, Deichmann, glaube ich, der hat so eine Dimension. Graz hat so eine Dimension, aber im Grunde: Hauptgeschäft Schuhe im Regal und dann noch mal so eine kleine Linie online.

Die haben kein einziges Geschäft, wollen auch keins aufmachen, obwohl alle möglichen Leute sagen, macht so Fashiongeschäfte wie Prada, ein Geschäft, wo dann nur drei Teile stehen in einer Riesenhalle, drei Teile gut beleuchtet. – Das ist aber nebensächlich.

Die sind voll ins Onlinegeschäft gegangen und haben drei Bedingungen gemacht, die auch andere Onlinehändler nicht machen, sozusagen ganz schnelle Bedienung, das kostet viel Geld – das macht erst mal Verluste – und sofortige Zurücknahme. Alle können zurückschicken, was sie kaufen, alles. In diesen großen Kundencentern ist die Hälfte, sagen wir mal, 10.000 Quadratmeter sind Auslieferung und dann noch mal 5.000 Quadratmeter, wo sie alle wieder annehmen.

Das heißt, das kostet ein Schweinegeld, aber dadurch kriegen sie die Kunden, weil alle das Gefühl haben, das ist doch risikolos dort zu kaufen.

"Zalando kommentiert"

"Wie fair ist Zalando wirklich?"

"Birger Priddat zum Buch "Schrei vor Glück" über Zalando"

"Kochs Kommentar zu Zalando"

Kaufen & Haben
  Blog-Artikel
  Blog-Kategorien
  Blog-Archiv