13.10.2025 10:37
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20 Milliarden Euro Schaden vermutet wegen unfairer Regalauffüllerfirmen
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Bayerische Behörden ermitteln gegen Regalauffüller-Firmen in Supermärkten Mehr als 70 Beschuldigte sollen bei Supermarkt-Regalauffüllungen Löhne unterschlagen und Steuern hinterzogen haben. Die Münchner Staatsanwaltschaft geht von einem Schaden von über 20 Millionen Euro aus.
Die Staatsanwaltschaft München I ermittelt gegen mehrere selbstständige Regalauffüller-Firmen, die in Supermärkten eines großen Lebensmittelkonzerns tätig waren. Den mehr als 70 Beschuldigten wirft sie unter anderem Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt, Steuerhinterziehung und Einschleusen von ausländischen Arbeitern vor. Das teilten Staatsanwaltschaft, Polizei und Zoll in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit.
Die Firmen arbeiteten über Subunternehmen, die der Lebensmittelkonzern mit dem Befüllen der Regale beauftragt hatte. Die Ermittler werfen ihnen vor, ihre Beschäftigten nicht bei Steuer und Sozialversicherung angemeldet zu haben. Die Regalauffüller selbst, viele aus Afghanistan, stehen nicht unter Verdacht. Viele von ihnen sollen nicht einmal den Mindestlohn erhalten haben.
Acht Haftbefehle, ein Angeklagter, drei in Untersuchungshaft
Die Ermittlungen dauern seit mehreren Jahren. Die Staatsanwaltschaft hat inzwischen acht Haftbefehle erwirkt. Ein Angeklagter stehe bereits vor dem Landgericht München I, drei weitere sitzen laut Mitteilung in Untersuchungshaft, andere seien flüchtig. Staatsanwalt Klaus Liebl schätzt den Schaden für die öffentliche Hand und Sozialversicherungsträger auf mindestens 20 Millionen Euro. Er schließe nicht aus, dass die Summe noch deutlich steigt.
Auch ein Mitarbeiter des Lebensmittelkonzerns gerät ins Visier der Ermittler. Er habe die Aufträge an die Subunternehmer vergeben und soll von dem System gewusst haben. Ihm wird Beihilfe vorgeworfen. Ein Geschäftsführer des Konzerns stehe hingegen nicht unter Verdacht.
In dieser Woche durchsuchten die Behörden Wohn- und Geschäftsräume in München und Unterammergau. Rund 50 Beamte von Zoll, Polizei und Steuerfahndung stellten Unterlagen, Speichermedien und Vermögenswerte wie Bankguthaben und Immobilien sicher.
Den Ermittlungen zufolge begann alles mit Schwarzarbeit-Kontrollen in Murnau und Weilheim in Oberbayern. Später stießen die Behörden auf weitere Tätergruppen. Viele der betroffenen Firmen hätten nur wenige Monate bestanden, was den Verdacht auf Scheinunternehmen erhärtete. Insgesamt sei über die Jahre ein System entstanden, das verschiedene Tätergruppen unabhängig voneinander kopiert hätten.
lkö/dpa
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06.10.2025 08:11
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Warum faire Produkte keine Luxusgüter mehr sind
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Siegel prüfen kostet Zeit. Aber es ist gut investierte Zeit. Denn am Ende profitieren alle entlang der Lieferkette. Schreibt die Präsidentin von Brot für die Welt und der Diakonie Katastrophenhilfe Dagmar Pruin in der Frankfurter Rundschau am 4.10.25: „Nicht auch noch die Lieblingsschokolade! Und der Strauß Rosen! Gefühlt kann man kaum etwas essen oder kaufen, ohne dass eine Hiobsbotschaft den Appetit oder die Kaufentscheidung verdirbt. Immer öfter erfahren wir, dass hinter den kleinen Freuden des Alltags harte Realitäten stecken – Hungerlöhne, Pestizide, Landraub. Was also tun? Alles meiden? Ignorieren?
Es gibt einen dritten Weg: bewusster einkaufen. Zugegeben, der Dschungel an Siegeln wirkt manchmal dichter als der Amazonas. Doch es gibt Orientierung. Das Fairtrade-Siegel oder eine Marke wie Gepa, die in diesem Jahr ihr 50-jähriges Bestehen feiert, stehen seit Jahrzehnten für glaubwürdigen Fairen Handel.
Faire Produkte sind beim Einkauf längst keine Luxusgüter mehr
Faire Produkte sind längst keine Luxusgüter mehr – wenn auch meist etwas teurer. Das hat seinen Grund. Denn Billigprodukte sind nur möglich, wenn irgendwo jemand anderes den Aufpreis zahlt: durch Ausbeutung. Hinter jeder Rose und jeder Kakaobohne steht ein Mensch.
Die Zahlen sind drastisch: Ohne den Fairen Handel hätte beispielsweise laut einem Vertreter einer kleinbäuerlichen Kooperative in der Dominikanischen Republik jeder zweite Kleinbauer oder jede zweite Kleinbäuerin dort in den vergangenen Jahren aufgeben müssen. Denn Klimawandel, Preisdruck und ausbeuterische Strukturen setzen massiv zu. Fairer Handel hingegen schafft Perspektiven: höhere Einnahmen, nachhaltiger und an den Klimawandel angepasster Anbau, bessere Zukunftschancen. So entstehen stabile Einkommen – und Perspektiven für die nächste Generation.
Politik muss Bedingungen für Fairen Handeln schaffen
Fairer Handel bedeutet mehr als nur faire Preise: Zusätzliche Fairtrade-Prämien fließen beispielsweise in Schulen, Gesundheitsstationen oder Weiterbildung in den Gemeinden. Mitglieder der Kooperativen entscheiden demokratisch über die Verwendung. Frauen werden gezielt gefördert. Das ist keine Wohltätigkeit, sondern gelebte Verantwortung.
Damit der Faire Handel aber zur Norm wird, muss die Politik die richtigen Rahmenbedingungen setzen. Die Lieferkettengesetze in Deutschland und Europa waren hier erste wichtige Schritte – die aktuell drohenden massiven Abschwächungen gehen jedoch genau in die falsche Richtung.
In der Zwischenzeit gilt für uns als Komsument:innen: Ja, Siegel prüfen kostet Zeit. Aber es ist gut investierte Zeit. Denn am Ende profitieren alle entlang der Lieferkette“.
Kritisch anzumerken ist: Die Zertifizierungsprozesse kosten die Produzenten richtig Geld, das dann an anderer Stelle fehlt. Hier müssten die Kosten auf die Kunden umgelegt werden oder: noch besser von wohlhabenden Staaten übernommen werden.
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25.09.2025 08:34
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Seriöser Journalismus unter unfairem Druck
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Etwa ein Dutzend renommierte Wirtschaftswissenschaftler, darunter die Nobelpreisträger Joseph Stiglitz und Daron Acemoglu, haben vor einem Zusammenbruch des seriösen Journalismus und den damit verbundenen "beträchtlichen Konsequenzen" gewarnt. "Der Zugang zu vertrauenswürdigen Informationen ist die grundlegende Ressource, die die Wirtschaft des 21. Jahrhunderts nährt", hieß es in einer gemeinsamen Erklärung der Ökonomen, die am Montag vom Forum für Information und Demokratie veröffentlicht wurde.
Diese Ressource werde für die "künftige auf Künstliche Intelligenz (KI) ausgerichtete Wirtschaft noch wichtiger", betonen die Wirtschaftsexperten, zu denen auch Tim Besley und Diane Coyle aus Großbritannien und die Italienerin Francesca Bria gehören. "Medien von öffentlichem Interesse", die also faktenbasierte und glaubwürdige Informationen liefern und unabhängig arbeiten, spielten dabei "eine entscheidende Rolle". Dennoch seien sie "überall in der Welt" bedroht.
Als einen konkreten Bedrohungsfaktor für die unabhängige Medienberichterstattung nannten die Ökonomen finanzielle Probleme wegen der "immer unfaireren Konkurrenz durch die Tech-Riesen" wie den US-Konzern Google oder den US-Facebook-Mutterkonzern Meta. Zudem gebe es eine "zunehmende Einmischung der Regierungen, insbesondere von autoritären Regierungen, aber nicht ausschließlich".
Die Wirtschaftswissenschaftler forderten daher, "in einen freien und unabhängigen Journalismus zu investieren", in Form direkter oder indirekter Subventionen oder durch die Einführung von "Digitalsteuern auf die großen Plattformen". Die Regierungen müssten geeignete "Ökosysteme für Informationen im öffentlichen Interesse" schaffen und für Tech-Konzerne und die KI-Branche eine "angemessene Regulierung" einführen.
Mit diesen relativ kostengünstigen Maßnahmen kann laut Stiglitz und seinen Kollegen eine Entwicklung verhindert werden, die "zum Zusammenbruch des Journalismus von öffentlichem Interesse führt, mit beträchtlichen Konsequenzen für unsere Wirtschaft, unsere Gesellschaft und unsere Demokratien". An den Schutzmaßnahmen sollten dem Appell zufolge auch die Zivilgesellschaft und die Privatwirtschaft beteiligt werden.
In dem Aufruf wurden keine einzelnen Staaten hervorgehoben. In den USA nimmt die Regierung von Präsident Donald Trump die Medien derzeit verstärkt ins Visier. Trump hatte es am Freitag als "wirklich illegal" bezeichnet, dass US-Medien überwiegend negativ über ihn und seine Regierung berichten würden. Die renommierte Zeitung "New York Times" verklagte er vergangene Woche wegen angeblicher Verleumdung auf eine Entschädigungssumme von 15 Milliarden Dollar (rund 12,7 Milliarden Euro).
Das Forum für Information und Demokratie ging aus einer Partnerschaft hervor, die Frankreich 2019 mit der Organisation Reporter ohne Grenzen geschlossen hatte. Mittlerweile haben sich knapp 50 Staaten angeschlossen, darunter Deutschland.
Mit Material der AFP
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22.09.2025 12:09
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Der unfaire Kampf gegen NGOs
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Das Anti-NGO-Narrativ: Wie versucht wird, die Zivilgesellschaft zu delegimitieren
Zivilgesellschaftliche Organisationen sehen sich zunehmend mit Vorwürfen und delegitimierenden Zuschreibungen konfrontiert. Die neue Publikation Das Anti-NGO-Narrativ von Dr. Siri Hummel (Maecenata Institut) und Dr. Peter Schubert (ZiviZ im Stifterverband) stellt diesen eine faktenbasierte Einordnungen gegenüber und zeigt, wie diese Narrative funktionieren. Die Publikation wird durch ein begleitendes Factsheet ergänzt, das die wichtigsten Vorwürfe im Überblick einem Faktencheck unterzieht und aktuelle Zahlen zur Entwicklung der Zivilgesellschaft in Deutschland präsentiert.
Mit bisher unveröffentlichten Zahlen verdeutlichen die Autor*innen: Die Zivilgesellschaft ist kein homogenes „Machtkartell“, sondern mit ihren rund 662.789 in Deutschland registrierten zivilgesellschaftlichen Organisationen ein komplexes Geflecht pluraler Interessen.
Kernergebnisse
Das Anti-NGO-Narrativ operiert mit empirisch nicht haltbaren Thesen und strategischen Verkürzungen, welche die Forschungslage und Verfassungslage ignorieren. Es konstruiert eine Bedrohung durch angebliche „linke Lobbygruppen“, während wirtschaftsnahe oder konservative Akteure diskursiv unsichtbar bleiben. Diffamierende Begriffe und Erzählungen zielen auf eine systematische Delegitimierung zivilgesellschaftlicher Einflussnahme – und verkennen dabei bewusst die demokratische Funktion von Kritik, Interessenvertretung und Protest jenseits parteipolitischer Logik und staatlicher Institutionen. ZGO sind vielfältig und vertreten nicht nur linke Positionen. Die Zivilgesellschaft ist eine Abbildung der gesamten Gesellschaft – es gibt ZGO, die linke Positionen vertreten, es gibt aber auch welche, die liberale sowie konservative Positionen einnehmen. Zudem existieren auch rechtsextreme Vereine und Stiftungen. Bei der Finanzierung von ZGO dominiert Eigenleistung: Mitgliedsbeiträge, private Spenden und selbsterwirtschaftete Mittel machen den größten Anteil aus. Öffentliche Förderungen spielen eine vergleichsweise untergeordnete Rolle. ZGO verfügen über keinerlei staatliche Gewalt und können niemanden zum Schweigen bringen (Stichwort Zensur). ZGO stellen vielmehr Öffentlichkeit her, benennen Missstände, solidarisieren sich mit Betroffenen – und verteidigen damit demokratische Diskursräume, die durch Hassrede zunehmend unter Druck geraten.
Über die Autor*innen
Dr. Siri Hummel ist Direktorin des Maecenata Instituts für Philanthropie und Zivilgesellschaft und ist Politik- und Kommunikationswissenschaftlerin. Sie promovierte an der Universität Greifswald zum Thema Demokratieförderung durch Stiftungen. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Demokratie und Zivilgesellschaft sowie Gleichstellung in der Zivilgesellschaft und Stiftungsforschung. Zusätzlich ist sie Lehrbeauftragte im Studiengang Nonprofit Management and Public Governance an der Hochschule für Wirtschaft und Recht.
Dr. Peter Schubert ist Leiter von ZiviZ im Stifterverband und verantwortet dort unter anderem die zentralen Datenprojekte wie den ZiviZ-Survey und den Monitor Unternehmensengagement. Er studierte Politikwissenschaft, Volkswirtschaftslehre und Nonprofit-Management in Heidelberg, Paris und Seattle und promovierte an der Universität Hamburg zum Finanzmanagement von Nonprofit-Organisationen.
Über die Maecenata Stiftung
Die Maecenata Stiftung ist eine unabhängige, gemeinnützige Stiftung, deren Ziel die Stärkung und Förderung der Zivilgesellschaft als Grundvoraussetzung einer offenen und demokratischen Gesellschaft ist. Ihre Arbeit basiert auf der Überzeugung, dass zivilgesellschaftliches Engagement eine zentrale Rolle für gesellschaftlichen Wandel, interkulturellen Dialog und die Verwirklichung demokratischer Werte spielt. Die Stiftung agiert als unparteiischer Watch-Dog und betreibt Forschung zur Förderung einer offenen Gesellschaft in Europa und darüber hinaus. Mehr Informationen: www.maecenata.eu
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15.09.2025 14:38
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Faire Woche und das Schreddern des Lieferkettengesetzes
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Ausgerechnet während der Fairen Woche Vom 12. bis zum 26. September wird das Deutsche Lieferkettengesetz gehäckselt.
In der Fairen Woche 2025 geht es um die biologische Vielfalt, denn durch die Zusammenarbeit mit Fair-Handels-Partner*innen weltweit wird die ökologische Vielfalt geschützt und gefördert. Mit nachhaltigen Anbaumethoden und Lieferketten leistet der Faire Handel einen wichtigen Beitrag zu den globalen Zielen der UN (SDG 15), um das Leben an Land zu bewahren.
Und es geht um die die Vielfalt der Menschen, denn hinter jedem fair gehandelten Produkt stehen Menschen mit ihren Geschichten, Erfahrungen und Herausforderungen. Besonders Kleinbäuer*innen spielen eine zentrale Rolle in der globalen Ernährungssicherung. Fairer Handel fördert ihre Entwicklung, unterstützt innovative Ansätze und stärkt den Dialog.
Und es geht um die Vielfalt des Engagements, denn der Faire Handel lebt von dem Engagement vieler Akteure, Produzent*innen, Händler*innen und Konsument*innen. Jede*r trägt dazu bei, die Idee einer gerechteren und nachhaltigen Welt voranzutreiben.
Doch vor allem Vertreter der Christlichen Union, ob demokratisch oder sozial, heizen die Deregulierung an. So Baden-Württembergs Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut und andere, die häufig über Verwandtschaftsbeziehungen eng mit Industrie und Handel verbunden sind. „Wir sollten unseren Unternehmen wieder mehr Vertrauen schenken“, verlangt die Ministerin in einer Reaktion auf das geänderte deutsche Lieferkettengesetz.
Ihr reicht nicht, dass die Bundesregierung die Berichtspflicht für Firmen gestrichen hat. Sie fordert, auch die Dokumentationspflicht abzuschaffen. Ganz offenbar glaubt sie nicht an die Fähigkeit der Hersteller, bei Einhaltung humanitärer und – eigentlich nicht unerheblich für eine Christdemokratin – auch christlicher Pflichten, wettbewerbsfähig zu bleiben. Vielmehr unterstellt sie, dass „Made in Germany“ ohne ausbeuterischen Neokolonialismus nicht funktioniert.
Dabei könnte Hoffmeister-Kraut ganz andere Wege gehen und sich auf Produzenten berufen, die ein strenges Lieferkettengesetz befürworten, hierzulande und anderswo in Europa. Genauer gesagt: Sie müsste sogar. Denn nach den Zahlen von Unicef arbeiten weltweit 54 Millionen Kinder, viele auf Kakaoplantagen. „Kakao für die bei uns so beliebte Schokolade wird vor allem in Côte d'Ivoire und Ghana angebaut“, schreibt das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen in einer aktuellen Analyse der Situation, „und leider werden für diese schwere Arbeit nach wie vor Kinder eingesetzt“.
So unterschiedliche Anbieter wie die Erfinder:innen der quadratischen Schokolade aus Waldenbuch oder der ebenfalls weltweit tätige Steirer Josef Zotter mit den rechteckigen Täfelchen in kreativer Verpackung („Ei am from Austria“) bejahen eine einschlägige Sorgfaltspflicht ohne Abstriche. „Unser Ziel ist es, transparente Lieferketten zu haben und eng mit den Menschen zusammenzuarbeiten, die den Kakao für uns anbauen“, erläutert Ritter-Sport (Umsatz 2024: 605 Millionen Euro) die eigenen Kakao-Partnerschaften. „Wir machen keinen Unterschied bei den Arbeitsbedingungen für unsere eigenen Mitarbeiter*innen oder unserer Lieferant*innen“, schreibt Zotter (Umsatz 2024: 38 Millionen Euro) in der staatlich zertifizierten Umwelterklärung mit der Begründung: „Wir tragen Verantwortung für alle Beteiligten“.
Hilft das Europäische Lieferkettengesetz? Noch in diesem Jahr soll der weitere Umgang mit der Lieferkettenrichtlinie zwischen Kommission, Europarat und Parlament verhandelt werden. Die SPD hat sich festgelegt. „Eine Abschaffung des EU-Lieferkettengesetzes liegt nicht auf dem Tisch“, sagt der Vorsitzende der sozialdemokratischen Abgeordneten aus Deutschland, René Repasi aus Karlsruhe. Weder im Parlament noch unter den EU-Staaten gebe es eine Mehrheit für einen solchen Schritt.
Der Professor für Europarecht an der Erasmus-Universität Rotterdam kann sich Änderungen vorstellen, „die Entlastungen für Unternehmen bedeuteten, das Ziel, Zwangsarbeit, Menschenrechtsverletzungen oder Umweltzerstörung einzudämmen, bleibt aber bestehen“.
Dass er am Ende Recht behält, ist noch lange nicht sicher. Hoffmeister-Kraut jedenfalls, die sich nicht mehr als Scharnier zwischen Herstellern und Gesetzgeber:innen versteht, sondern eher als Sprachrohr der Wirtschaft, stellt sich dagegen. Die geplanten EU-weiten Haftungsregeln müssen nach ihrer Ansicht dringend entschärft oder gleich ganz gestrichen werden. Und es folgt ein Satz, der sich liest, wie eine Bankrotterklärung für Geschäftsmodelle in „The Länd“ mit einem universellen und wertebasierten Anspruch: „Nur wenn die Politik auf 'Wirtschaft first' setzt, kann Europa im globalen Wettbewerb bestehen“. Dabei wollte die CDU/CSU doch für Humanität, Ökologie und fairen Handel stehen. Ach ja, nur wenn es zu eigenen Gunsten geht.
((mit Material von Kontextwochenzeitung.de ))
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11.09.2025 07:30
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Justizministerin Stefanie Hubig will gegen verbale sexuelle Belästigung vorgehen.
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Doch „Catcalling“ ist nicht der richtige Begriff dafür, findet die Journalistin Kristina Dunz in der Frankfurter Rundschau (11.9.25, S. 6) richtiger Weise: „Jetzt also „Catcalling“. Noch so ein Begriff, der leicht in die Irre führt und das Übel nicht an der Wurzel packt. Es handelt sich nämlich bei verbaler sexueller Belästigung, gegen die die neue Justizministerin als eine ihrer ersten Amtshandlungen vorgeht, nicht um Miezen, sondern um Mädchen und Frauen. Und es geht auch nicht um harmloses Hinterherschnalzen.
Den Begriff „Catcalling“ sollte Stefanie Hubig (SPD) deshalb als Erstes durch eine treffende Bezeichnung ersetzen. Dann gewinnt die Debatte vielleicht eher die Aufgeschlossenheit in der Gesellschaft, sich in Zeiten internationaler Kriegsbedrohungen und nationaler Wirtschaftskrise auch dieses Problems bewusst zu machen.
Es gibt eine Grenze, an der ein Kompliment endet und die Verletzung von Gefühlen beginnt und verbale sexuelle Belästigung traumatisierend ist. In erster Linie trifft es Mädchen und Frauen, die sich schwer wehren können und genau deshalb in der Regel von Männern ins Visier genommen werden.
Jedes Bemühen, das zu unterbinden, ist richtig. Im Idealfall würde ein neuer Straftatbestand (vermutlich eine Geldbuße), wie ihn Hubig unter Berufung auf den Koalitionsvertrag prüfen will, Männer (in seltenen Fällen sind es Frauen) von dreckigen, einschüchternden Sprüchen abhalten.
Im schlechtesten Fall wird das Ringen zwischen SPD und Union jetzt aber dazu führen, dass Menschen – ob aus Wut oder tatsächlicher Verunsicherung – sagen, dass man ja nichts mehr sagen darf.
Wir müssen uns etwas bewahren: einen ganz normalen Umgang zwischen den Geschlechtern. Anerkennung ist schön, sexuelle Belästigung ist schlimm. Das wissen alle. Deshalb dürfen wir uns weiterhin echte Komplimente machen und Verbal-Tätern sagen, dass sie ihr Maul halten sollen.
Die SPD hat die Forderung nach neuen Strafen für verbale sexuelle Belästigung verteidigt. Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Dirk Wiese, sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, er sehe kein Problem mit der Abgrenzbarkeit zu „normalen“ Komplimenten. „Das halte ich für eine Scheindebatte, die ein existierendes Problem lächerlich machen will.“ Er vertraue darauf, dass die Justiz das gut gegeneinander abwägen könne - so wie Richter:innen es auch bei Beleidigungen jeden Tag täten.
Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) hatte zuvor einen neuen Straftatbestand für verbale sexuelle Belästigung – sogenanntes „Catcalling“ – vorgeschlagen. Der Koalitionspartner ist allerdings skeptisch, ob es der richtige Weg ist, dies explizit unter Strafe zu stellen.
Die rechtspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Susanne Hierl (CSU), sagt: „Es ist beschämend, wie häufig Frauen Opfer von respektlosem und verletzendem Verhalten werden.“ Es gebe aber bereits verschiedene Straftatbestände wie Beleidigung und Nötigung, um dagegen vorzugehen. Gegen Äußerungen, die unter die Schwelle der bereits existierenden Kriterien fielen, werde es nur schwer möglich sein, Regeln zu finden, die sich in der Praxis umsetzen ließen. „Neue Straftatbestände führen nicht zwangsläufig zu mehr Sicherheit, sondern können auch Unklarheiten schaffen“.
Es sei im Koalitionsvertrag aber vereinbart, die Frage zu prüfen. Und wenn das Justizministerium dazu konkrete Vorschläge mache, werde man sich die ansehen. Die SPD betont, dass nicht jedes unerwünschte Kompliment, nicht jedes Nachpfeifen, Kussgeräusch oder Stöhnen gleich sanktioniert werden soll, sondern nur „erhebliche verbale und nicht-körperliche sexuelle Belästigungen“. Aber wie lässt sich die Grenze ziehen?
Vorfälle gibt es jedenfalls viele. In sozialen Medien teilen Frauen aus verschiedenen Städten auf Accounts unter dem Namen „catcallsof…“ reihenweise ihre Erfahrungen mit vulgären Kommentaren oder sexuellen Einschüchterungen im öffentlichen Raum: Ein Mann, der eine Frau in der U-Bahn anstarrt und sich an den Penis fasst. Ein vorbeifahrendes Auto, aus dem jemand brüllt: „Zeig mal deine Pussy“. Ein Fußgänger, der im Vorbeigehen sagt: „geiler Arsch“ oder „man kann deine Nippel sehen.“ Ein Fahrradfahrer, der eine junge Frau umkreist und dabei obszöne Kommentare macht.
Was von solchen Beispielen aus Hubigs Sicht strafbar sein sollte, muss die Ministerin nun durchdeklinieren".
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02.09.2025 12:35
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Unfaire Arbeit anders bestimmen
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In meinem ersten Praktikum durfte ich manuell eine Excel-Tabelle mit 10 000 Zeilen bereinigen. Ich war schon nach wenigen Tagen so gelangweilt, dass ich das Praktikum fast abgebrochen hätte, schreibt Dennis Fischer in der Frankfurter Rundschau heute.
"Eine aktuelle Studie aus Stanford trägt den hübschen Titel „Kanarienvögel in der Zeche?“ und warnt: Künstliche Intelligenz trifft vor allem Einsteiger-Jobs. Sie kann Präsentationen auf Einsteigerniveau erstellen, juristische Texte zusammenkopieren oder Exceltabellen bereinigen. Genau jene Aufgaben also, mit denen Generationen von Berufseinsteiger:innen hingehalten wurden. Aber mal ehrlich: Waren das jemals gute Einstiegsaufgaben?
Der amerikanische Kulturanthropologe David Graeber hat solche Tätigkeiten schon 2018 als „Bullshit-Jobs“ bezeichnet. Menschenunwürdig, weil man weiß, dass sie niemandem nützen. Wenn junge Menschen ihre ersten Arbeitsmonate damit verbringen, Folien zu verschönern oder Mails zu beantworten, die niemand liest, brauchen wir uns nicht wundern, dass sie innerlich kündigen, bevor sie überhaupt im Berufsleben angekommen sind.
Bietet KI auch Chancen im Job?
Früher sah menschenunwürdige Arbeit anders aus. 2018 wurde in Bottrop die letzte Zeche geschlossen. Wer heute auf die Zahl der Grubenunglücke schaut, ist froh, dass niemand mehr sein Leben riskieren muss, um Kohle aus dem Berg zu holen. In ein paar Jahren werden unsere Kinder ähnlich fassungslos fragen: „Ihr habt acht Stunden am Tag PowerPoint gebaut? Ihr habt drei Tage lang Tabellen befüllt?“
Und genau hier liegt die Chance der KI. Sie nimmt uns diese sinnlosen Aufgaben ab. Sie verschickt Mails, die keiner lesen möchte. Sie pflegt Listen, die niemand braucht.
Junge Berufseinsteiger muss man ernst nehmen
Die falsche Antwort ist jetzt allerdings: Keine jungen Menschen mehr einzustellen. Wir dürfen Einsteiger:innen nicht länger mit Alibi-Aufgaben abspeisen, sondern sie vom ersten Tag an ernst nehmen. Wer komplexe Probleme lösen darf, Verantwortung übernimmt und eigene Ideen einbringen kann, entwickelt Motivation statt Resignation.
Schon heute zeigt der Gallup-Engagement-Index: Nur neun Prozent der Beschäftigten in Deutschland fühlen sich ihrem Job wirklich verbunden. Wenn wir die nächste Generation mit sinnvollen Aufgaben starten lassen, können wir hoffentlich dieses Muster durchbrechen. Dafür braucht es Führungskräfte, die erklären, begleiten, Vertrauen schenken. Doch genau hier entscheidet sich, ob Organisationen in Zukunft Talente gewinnen oder verlieren!"
Der Autor ist Keynote-Speaker zu Future Skills und Autor.
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21.08.2025 09:03
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Große Emittenten können für Klimarisiken haftbar gemacht werden
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Oberlandesgericht fällt Grundsatzentscheidung:
In einem richtungsweisenden Urteil hat das Oberlandesgericht Hamm am 28. Mai bestätigt, dass große Emittenten nach deutschem Zivilrecht grundsätzlich für die Folgen ihrer Treibhausgasemissionen zur Verantwortung gezogen werden können.
Am 24. November 2015 hatte der Bauer und Bergführer Saúl Luciano Lliuya vor einem deutschen Zivilgericht eine Klage gegen den Energiekonzern RWE eingereicht. Er beantragte, dass sich RWE anteilig – entsprechend dem Beitrag des Unternehmens zur globalen Erwärmung – an den Schutz- und Reparaturkosten seines Hauses beteilige. RWE argumentierte, dass es für die Ansprüche des Klägers keine Rechtsgrundlage gäbe und das Unternehmen nicht in Verantwortung gezogen werden könne.
Zwar wies das Gericht die Klage von Lliuya ab, doch die ausführliche Urteilsbegründung stellt klar, dass Unternehmen sowohl für ihre vergangenen als auch zukünftigen Emissionen haftbar gemacht werden können. Expert*innen werten das Urteil als Signal für die derzeit über 60 laufenden klimabezogenen Verfahren weltweit.
Mehr als 150 Unternehmen – darunter die Otto-Gruppe, Allianz und SAP – forderten die Europäische Union derweil auf, die Treibhausgasemissionen in der EU bis 2040 um mindestens 90 Prozent zu reduzieren.
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15.08.2025 08:20
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Unfaire Erfassung von Armut in unserer Gesellschaft?
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Eine Forschergruppe wirft dem Statistischen Bundesamt vor, eine umstrittene Methode zur Erfassung von Betroffenen anzuwenden. Das berichten Tim Szent-Ivanyi und Markus Decker in der heutigen Frankfurter Rundschau (S. 11):
„Insgesamt 30 teilweise sehr bekannte Armutsforscherinnen und -forscher, wie der langjährige Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Ulrich Schneider, oder der Kölner Sozialwissenschaftler Christoph Butterwegge, werfen dem Statistischen Bundesamt vor, die Armutsquoten in Deutschland kleinrechnen zu wollen.
In einem Protestbrief an die Präsidentin des Statistischen Bundesamtes, Ruth Brand, der dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) vorliegt, beklagen sie, dass die Statistiker:innen ihre Berechnungsmethode auf eine Variante (EU-SILC/MZ-SILC) reduziert und die Ergebnisse einer anderen Variante (MZ-Kern) von der Homepage gelöscht hätten. Schneider sagte dem RND, der Vorgang sei „brisant“, da nach der verbliebenen Berechnungsmethode die Armutsquote deutschlandweit 2023 bei 15,5 Prozent lag, nach der nun gelöschten aber bei 16,6 Prozent. „Das heißt, nach den nun nur noch ausgewiesenen Zahlen ist die Armut mal eben um mehr als eine Million Menschen geringer. Da drängt sich schon die Frage nach Manipulation oder doch zumindest einem interessengeleiteten Vorgehen auf.“
Dass die Ergebnisse der zweiten Berechnungsmethode nicht mehr veröffentlicht würden und nach Darstellung der Autor:innen rückwirkend gelöscht wurden, betrachten die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner „als einen nicht akzeptablen Eingriff in die wissenschaftliche Freiheit“. Es grenze „an behördliche Willkür, wenn ein Bundesamt Ergebnisse von allgemeinem wissenschaftlichen und öffentlichen Interesse zurückhält und damit die gesamte Fachdiskussion und öffentliche Rezeption beschnitten werden“. Womöglich sollten diese Ergebnisse „in eine bestimmte Richtung gelenkt werden“. Die Autorinnen und Autoren des Briefes fordern Brand auf, die Entscheidung rückgängig zu machen.
Als armutsgefährdet gilt, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens hat. Die Berechnungsmethoden unterscheiden sich insbesondere bei der Definition und Erfassung des Haushaltsnettoeinkommens. Das Statistische Bundesamt begründet die Umstellung mit einer EU-weiten Vergleichbarkeit. Bei dieser Methode würden die Einkommensarten jeweils einzeln und ausführlich abgefragt statt nur als Gesamtsumme, so die Behörde. So könne eher als im bisherigen Verfahren vermieden werden, dass auskunftspflichtige Einkommen, die insbesondere nicht aus Erwerbsarbeit stammen, unabsichtlich unberücksichtigt blieben. Das betreffe zum Beispiel staatliche Leistungen wie Kindergeld, Kinderzuschlag, Bafög, Pflegegeld oder Wohngeld.
Die Armutsforscher:innen lassen das nicht gelten. Die Ansicht, wonach die neue Methode methodisch überlegen sei, sei in der Fachwelt speziell unter dem Aspekt der Berechnung von Einkommensarmut nicht ungeteilt, kritisieren sie in ihrem Protestbrief.
Im Jahr 2024 galten rund 13,1 Millionen Menschen als armutsgefährdet. Das war im Vergleich zu 2023 ein Anstieg um etwas mehr als ein Prozentpunkt. 2024 lag der Schwellenwert von 60 Prozent des mittleren Einkommens für einen Alleinlebenden bei 1378 Euro netto im Monat, für Haushalte mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern unter 14 Jahren bei 2893 Euro. Die Zahl der „von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedrohten“ Menschen, die über die reine Armutsgefährdung hinausgeht, lag 2024 mit 17,6 Millionen noch deutlich höher. Zuletzt sorgte die Nachricht für Aufsehen, dass sich jeder und jede Fünfte in Deutschland keinen einwöchigen Urlaub leisten kann.
Als besondere Risikogruppen gelten Arbeitslose, Menschen mit niedrigem Bildungsstand, Alleinerziehende und Familien mit vielen Kindern. Zuletzt warnte die Präsidentin des Deutschen Roten Kreuzes, Gerda Hasselfeldt, ferner davor, dass Pflegebedürftigkeit ebenfalls zur Armutsfalle zu werden drohe, weil die Selbstbeteiligung von 3000 Euro pro Heimplatz für zahlreiche Betroffene nicht mehr zu stemmen sei. Zugleich habe sich die Zahl der Pflegebedürftigen innerhalb der vergangenen 20 Jahre verdoppelt und werde weiter steigen.
Schließlich gibt es regionale Risikofaktoren. So sind Einkommen und Vermögen in Ostdeutschland nach wie vor deutlich geringer als im Westen. Dass die Lebenshaltungskosten dort ebenfalls geringer sind, gleicht das Gefälle nicht aus.
Ende Juni hatte die Mindestlohnkommission beschlossen, den gesetzlichen Mindestlohn bis 2027 in zwei Schritten über zunächst 13,90 Euro auf 14,60 Euro pro Stunde anzuheben. Von dem ersten Schritt werden laut Statistischem Bundesamt zum 1. Januar 2026 deutschlandweit bis zu 6,6 Millionen Berufstätige profitieren. Demnach lag zuletzt etwa jedes sechste Beschäftigungsverhältnis rechnerisch unterhalb des dann geplanten Mindestlohns von 13,90 Euro pro Stunde. Besondere Nutznießer der geplanten Erhöhung: Frauen und Ostdeutsche. Aus der zweiten Anhebung auf 14,60 Euro würden maximal 8,3 Millionen Beschäftigte einen Nutzen ziehen. Die SPD hatte eine Erhöhung auf 15 Euro gefordert.
Überdies arbeitet Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) an einer Reform des Bürgergeldes. Hier geht es unter anderem um die Frage, welche Regeln für Menschen gelten sollen, die eine ihnen zumutbare Arbeit verweigern“.
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