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29.09.2023 12:48
Tesla und Musk - eine Laison für krasse Unfairness
Durch Deutschland muss ein Ruck gehen, darauf können sich gerade alle einigen. Wenn nach Ober-Ruckgebern gesucht wird, fällt oft ein Name: Elon Musk. Der hat mit seiner E-Auto-Schmiede Tesla nicht einfach nur an der Vorherrschaft der traditionellen Autobranche geruckelt, er hat ganze Maßstäbe verrückt: schneller, höher, weiter. Das fasziniert, auch den stern, der vor wenigen Woche Teile einer aufsehenerregenden Musk-Biografie veröffentlicht hat.

Das verschreckt jedoch zugleich viele, die sich fragen: Wollen wir das wirklich, eine amerikanische Start-up-Mentalität, in der es wenig um Mitarbeiter oder Qualitätssicherung geht, alles hingegen um Stückzahlen und um Profit kreist?

Die Antwort liegt wohl in der Mitte: Teslas Dynamik schafft Arbeitsplätze, sie sorgt für Fortschritt. Deswegen gab es auch viel Begeisterung, als der Autobauer in Brandenburg ein Werk eröffnete, das rund 12.000 Jobs schaffen sollte. Die deutsche Politik räumte alle Hindernisse im Tesla-Takt aus dem Weg, Bundeskanzler Olaf Scholz stand zur Eröffnung stolz an der Seite von Musk.

Jedoch ist auch die Schattenseite des Systems Tesla in Brandenburg mittlerweile unübersehbar, wie eine fast einjährige Recherche von stern und RTL News aufdeckt. Valeria Bajaña Bilbao und Kim Lucia Ruoff recherchierten für den Stern undercover in der Tesla-Fabrik. Christian Esser, Manka Heise und Tina Kaiser haben zahlreiche Arbeitsunfälle rekonstruiert, haarsträubende Umweltsünden aufgelistet. Sie zeichnen anhand von Interviews und Dokumenten nach, wie Zweifler in Behörden ignoriert wurden – und wie die Politik wegschaute und selbst schwere Verstöße gegen Arbeitsschutz- und Umweltauflagen hinnahm.

Elektroautohersteller Tesla hat innerhalb von sechs Monaten 190 Arbeitsunfälle in seinem Brandenburger Werk gemeldet - darunter auch schwere und schwerste. Zudem wurden bereits 26 Umwelt-Havarien gemeldet. In der Fabrik des US-Autobauers Tesla in Grünheide (Oder-Spree) kommt es einem Medienbericht zufolge zu deutlich me
hr Arbeitsunfällen als in anderen Autowerken.
Wie der "Stern" am Donnerstag unter Berufung auf Angaben von Behörden und Rettungsdiensten berichtet, seien darunter auch schwere und schwerste Arbeitsunfälle. Kritik gibt es nun auch an der Rolle der brandenburgischen Landesregierung um Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD).

Laut "Stern" meldete Tesla allein zwischen Juni und November 2022 mindestens 190 Unfälle in Grünheide - also fast einen pro Tag. Arbeitsunfälle, die zu einer mindestens dreitägigen Arbeitsunfähigkeit führen, sind in Deutschland meldepflichtig. Rettungsstellen zufolge sei zudem im ersten Jahr nach der Eröffnung 247 Mal ein Rettungswagen oder Hubschrauber gerufen werden, berichtete das Magazin weiter. Auf die Mitarbeiterzahl umgerechnet seien das dreimal so viele Notfälle wie beispielsweise im Werk von Audi in Ingolstadt.

"Wir sind schon seit längerem besorgt über die Arbeitssicherheit bei Tesla in Grünheide", erklärte der Bezirksleiter der IG Metall für Berlin, Brandenburg und Sachsen, Dirk Schulze. "Zahlreiche Beschäftigte berichten uns von Unfällen und Gesundheitsbelastungen. In einigen Bereichen führt dies zu Krankenständen von bis zu 40 Prozent." Dem "Stern" sagte Schulze, er habe "die größte Sorge, dass irgendwann jemand zu Tode kommt".

Mehr als 10.000 Beschäftigte im Werk
Der Gewerkschafter macht der Tesla-Führungsetage deshalb schwere Vorwürfe: Das Management reagiere "mit Druck auf die Kranken", erklärte er. "Und die noch Gesunden werden angehalten, mit weniger Personal die gleichen Stückzahlen zu produzieren." Angesichts der Medienberichte sei nun zu befürchten, dass Tesla nach den Mitarbeitern suche, die mit der Presse gesprochen haben, anstatt die Missstände zu beheben. Aktuell arbeiten in dem Werk in Brandenburg Unternehmensangaben zufolge mehr als 10.000 Beschäftigte, "perspektivisch sind 22.500 Mitarbeiter möglich", erklärte Tesla. Der Konzern will die Produktionskapazität in dem Werk auf eine Million Autos verdoppeln.

Ministerpräsident Woidke wusste nach eigener Aussage von den Unfällen.

Der Brandenburger Ministerpräsident Woidke sagte dem "Stern", dass er von den häufigen Unfällen im Tesla-Werk wisse. Er sei aber "nicht der Sprecher von Tesla". Derweil reichte das Transparenzportal "FragDenStaat" Klage gegen den SPD-Politiker ein, um Einsicht in Unterlagen einer gemeinsamen Taskforce der Landesregierung mit dem Autobauer zu erhalten. Nach Angaben der Staatskanzlei gibt es seit Ende 2019 regelmäßig Treffen von Ministerien- und Unternehmensvertretern. Die Aktivisten werfen Woidke vor, Informationen zu diesen Treffen unter Verschluss zu halten. Aiko Kempen von "FragDenStaat" sagte dem "Stern": "Die Öffentlichkeit hat das Recht zu erfahren, wie ein Milliardenkonzern Einfluss auf das Land nimmt."

Streit um Arbeitsbedingungen Tesla-Betriebsrat wirft IG-Metall Falschinformation vor
Die vielen Arbeitsunfälle sind derweil nicht das einzige Problem für das US-Unternehmen: Tesla hat in seiner Fabrik seit der Eröffnung vor eineinhalb Jahren 26 Umwelt-Havarien gemeldet. Das geht aus Informationen des Brandenburger Landesamts für Umwelt hervor, über die der "Stern" ebenfalls berichtet und die auch der Deutschen Presse-Agentur vorliegen.

Zu den Havarien zählen Austritte von 15.000 Liter Lack, 13 Tonnen Aluminium sowie 50 und 150 Liter Diesel. Nach Informationen des Landesumweltamtes wurden Lack und Aluminium fachgerecht oder ordnungsgemäß entsorgt. Bei Diesel sei der Boden in einem Fall ausgekoffert worden. Seit März 2022 gab es zudem acht Brände.

Bei den Vorfällen handelt es sich laut Landesumweltamt um Betriebsstörungen, nicht um Störfälle im Sinn der sogenannten Störfallverordnung. Ein Teil des Geländes liegt im Wasserschutzgebiet. Tesla weist Bedenken zurück.

Minister Vogel (Grüne): "Die Überwachung funktioniert"

Der Autobauer räumte ein, dass es auf dem Fabrikgelände während der Bauarbeiten und seit der Inbetriebnahme mehrere Vorfälle gegeben habe. Bei keinem der Vorfälle habe es sich um einen Störfall nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz gehandelt, bei keinem Vorfall sei es zu Umweltschäden gekommen, heißt es bei dem Unternehmen. Wenn nötig, seien Korrekturmaßnahmen umgesetzt worden.

Der Leiter Ökosysteme am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei, Martin Pusch, sprach von einer grundsätzlich hohen Gefährdung mit Blick auf das Trinkwasser. "Es ist ein hohes Risiko der Beeinträchtigung der Trinkwasserversorgung aufgrund der geringen Rückhaltekapazität des Untergrunds", sagte Pusch der Deutschen Presse-Agentur.
Der Brandenburger Umweltminister Axel Vogel (Grüne) räumte auf Anfrage des "Sterns" ein, dass Probleme auf dem Werksgelände aufgetaucht seien, sah aber keine Gefahr. Auf die Frage, ob er ausschließen könne, dass das Grundwasser unter der Fabrik verseucht ist, sagte er laut "Stern": "Kann ich ausschließen. Die Überwachung funktioniert."

Und das Auto selbst?

Tesla ist der wertvollste Autobauer der Welt. Mit CEO Elon Musk an der Spitze mischt das junge Automobilunternehmen die Branche auf, lässt mit einem Marktwert von rund 580 Milliarden Euro die etablierten Autohersteller zurück. Innovation, ansprechendes Design und günstiger Preis.

Auf diesen Grundpfeilern stützt sich die Aufstieg von Tesla, doch anhaltende Kritik an der Fertigungsqualität lässt manche potentiellen Kunden zurückschrecken. Für den US-Konzern deshalb essenziell: Der Erfolg des Model 3, das im Vergleich zu den Modellen S, X und Y für breite Bevölkerungsgruppen erschwinglich ist.

Der massentaugliche Elektroflitzer legt jedoch den größten Kritikpunkt am US-Unternehmen frei. Zwar besticht das Auto durch Preis und Reichweite, die Qualität lässt allerdings oft zu wünschen übrig. In einem Youtube-Video untersucht der Automobilingenieur Sandy Munro das aktuelle Modell. Schon 2018 nahm er das Model 3 genauer unter die Lupe. Damals habe er sich „fast übergeben, so schlecht war es“. Die Fehler, die ihm vor drei Jahren auffielen, erwartete er eher „bei einem Kia aus den 1990er Jahren“. Auch beim Model 3 aus dem Jahr 2021 fallen dem Autoexperten auf den ersten Blick gravierende Mängel auf.
Model 3: „Das ist nicht akzeptabel“

Tesla-Kunden kritisierten in der Vergangenheit die Lackarbeiten des US-Autobauers scharf. Auch Autoexperte Munro verweist auf die teilweise miserable Lackierung in der Vergangenheit, die Qualität habe sich beim aktuellen Modell verbessert. „Denjenigen, der für die Lackierung verantwortlich war, haben sie wohl gefeuert“, mutmaßt Sandy Munro, der daraufhin die Spaltmaße des Model 3 untersucht.

Mithilfe eines kleinen Werkzeugs misst der Ingenieur den Abstand zwischen Tür und Kotflügel, doch die Mängel an der Beifahrerseite sind auch mit bloßem Auge zu erkennen. Die Lücke dazwischen ist nicht gleichmäßig. Unterhalb des Außenspiegels betrage der Abstand nur einen Millimeter, am unteren Ende der Beifahrertür liege das Spaltmaß bei rund fünf Millimeter, so Munro. Ein Fertigungsfehler, der den Ingenieur erzürnt: „Ich verstehe nicht, warum es noch immer Fertigungsprobleme gibt.“ Der Mangel sei „nicht akzeptabel“, ärgert sich Munro. Und spricht damit wohl vielen Tesla-Kunden aus der Seele, die ähnliche Qualitätsmängel bei ihren Fahrzeugen entdeckten.

Tesla Model 3: Spaltmaße „wie ein Geländewagen“

In der Fahrzeugentwicklung sei es die „einfachste Sache“ eine perfekte Fertigung zu gewährleisten, resümiert der Automobilexperte. In der Verarbeitung sieht Munro bei Tesla dringenden Handlungsbedarf. „So funktioniert das nicht“, prangert er die Mängel bei den Spaltmaßen an. Die Spalten, die an den Türen der Beifahrerseite zu sehen sind, vergleicht Munro mit denen eines Geländewagens. Sein Jeep weise solche Spaltmaße auf, damit man „den Schmutz besser auswaschen“ könne.
Auch für die Rücklichter setzt es Kritik. Diese seien nicht bündig mit der Heckklappe, so dass die Leuchten etwas hervorstehen. Ein Mangel, der wohl bei vielen Automobilherstellern in der Abnahme des Fahrzeugs aufgefallen wäre. Trotz der offensichtlichen Verbesserungsmöglichkeiten stellt Munro dem Model 3 ein gutes Zeugnis aus. Die aktuelle Version sei eine „gigantische Verbesserung im Vergleich zum damaligen Modell“, bilanziert er.

Elon Musk räumt Qualitätsprobleme bei Tesla-Modellen ein

Tesla wächst schnell. Der Absatz der Fahrzeuge steigt, neue Produktionsstätten wie die Gigafactory nahe Berlin befinden sich im Bau. Pro Jahr sollen zukünftig allein in der deutschen Produktionsstätte eine halbe Million Autos vom Band laufen. Doch geht das Wachstum auf Kosten der Qualität? In einem Gespräch mit Sandy Munro gibt Tesla CEO Elon Musk zu, dass die Güte der produzierten Autos schwanke.
Die Qualität sei generell schlechter, wenn Tesla die Produktion schnell hochfahre, so Musk. Es sei dann eine „sehr herausfordernde Aufgabe“, die Autos in perfekter Ausführung auszuliefern. Im Hinblick auf den Preisdruck und eine zuverlässige Endproduktion sei die Fertigung die „Hölle“, merkt der CEO an.
as Tesla herstellt, ist die dümmste und obszönste Variante der Elektromobilität. Einen Drei-Tonnen-Wagen zu bewegen, noch dazu mit extremen Beschleunigungswerten, das kann nicht ökologisch sein und auch nicht sozial", stellte Lohbeck in einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" klar.

Was Tesla macht, sei "asozial"

Der Experte kritisierte weiter: "Das ist Energieverschwendung, das ist Ressourcenverschwendung, das ist Platzverschwendung, und das ist asozial. Und das zeigt: Beileibe nicht jedes Elektroauto ist gut und ökologisch." Lohbeck gilt als einer der profiliertesten Mobilitätsexperten Deutschlands. Er arbeitete unter anderem für Greenpeace und entwickelte spritsparende Autos.

Mit Material von Stern, RTL, Merkus, RBB, Focus Online und Süddeutsche Zeitung



25.09.2023 14:45
Bananen sind mitunter Einladungen zur Unfairness
Bananen – umweltfreundlich und unter fairen Arbeitsbedingungen produziert? Was ist von den Nachhaltigkeitssiegeln zu halten?
ZDF-Reporter haben sich auf die Spur von Bananen in deutschen Supermärkten gemacht. In Ecuador und Costa Rica entdecken sie ein System der Angst. Die Siegel werden oft ohne das Einhalten der erforderlichen Standards vergeben werden. Arbeiterinnen und Arbeiter berichten von massiven Arbeitszeitverstößen und ungeschütztem Kontakt mit giftigen Pestiziden – auch bei Betrieben, die mit Nachhaltigkeitssiegeln von großen Zertifizierern ausgezeichnet sind.

Die Dokumentation "Die Spur" im ZDF deckt auf, was sich hinter den Kulissen abspielt: Niedrige Standards, lasche Kontrollen und die mutmaßliche Abhängigkeit der Zertifizierer von der Lebensmittelindustrie. Die Bananen, die wir kaufen, haben oft einen bitteren Beigeschmack. Den Preis zahlen die Menschen vor Ort.

„Wir nutzen eine Vielzahl von Pestiziden“

Zu Hause im Supermarkt gibt es viele schöne Aufkleber. Den WWF-Pandabär. Das Bio-Siegel. Das Siegel „Rainforest Alliance“. „Marken können damit ausdrücken, dass Gutes in ihren Produkten steckt“, verspricht der Werbefilm. Das ZDF-Team startet nach Lateinamerika. Ein Drittel aller Bananen weltweit kommt aus Ecuador. Bei Dole oder Chiquita will man mit dem Fernsehteam nicht sprechen. Es filmt dann eben den üppigen Einsatz von Pflanzenschutzmitteln auf die Bananen. „Wir nutzen eine Vielzahl von Pestiziden“, plaudert ein Produzent sehr freimütig. Die Arbeiter machen das ohne Atemschutz.
Bananen und Bananen-Republiken

1870 ist das Jahr, in dem die Banane ihre Weltkarriere beginnt. Da entdecken US-Unternehmer die Frucht als Verkaufsschlager. In Lateinamerika entstehen Monokulturen. Korrupte Regierungen spielen mit – und handeln sich den Titel „Bananen-Republik“ ein. Die Regierungen gehen, die Pestizide bleiben. Die Leiterin einer Schule inmitten von Plantagen berichtet von einer weißen Schicht, die sich auf der Haut ihrer Schüler absetzt, wenn die Sprühflugzeuge unterwegs sind. „Wenn sie sprühen, fühlen sich die Kinder schlecht“, sagt die Lehrerin. Die Piloten oben tragen Masken. Die Schüler unten und die Arbeiter in den Plantagen aber nicht.

Welche Chemikalien eingesetzt werden? Mancozeb etwa, in der EU verboten, aber in Ecuador erlaubt. Es beeinflusst die Schilddrüse. Wenn werdende Mütter dem Stoff ausgesetzt sind, zeigen ihre Kinder später Schwächen „bei emotionalen und kognitiven Tests“, erklärt eine Wissenschaftlerin. Kurz: Kopf und Gefühlsleben sind gestört. Krebserregend soll die Chemikalie auch sein. In Bayern empfiehlt die Verbraucherzentrale, sich der Rückstände wegen nach dem Anfassen von Bananenschalen die Hände zu waschen. In Südamerika fliegen Sprühflugzeuge über Kinder und Arbeiter.

„Da werden sogar die Steine grün angestrichen“

Beispiel REWE. Auf Bananen klebt der grüne Frosch von „Rainforest Alliance“, das Siegel schmückt angeblich 40 Prozent der Bananen in Deutschland. Die ZDF-Reporter besuchen den Herstellungsbetrieb in Ecuador. Die Versprechen: weniger Pestizide, gute Arbeitsbedingungen. Eine Arbeiterin, Maria genannt, erzählt Anderes: „Die Bedingungen sind schrecklich“, sagt sie. „Sie lassen uns von 6 Uhr morgens bis 6 Uhr abends arbeiten – zahlen aber nur Teilzeit.“ Heißt: Deutlich weniger als die gesetzlich vorgeschriebenen 450 Dollar Mindestlohn.

Die Kontrollen fürs Siegel werden im Regelfall angemeldet. Das ZDF spielt die Audioaufnahme von einem Vorarbeiter ein: „Morgen kommt möglicherweise jemand von ,Rainforest‘“, sagt der – und gibt vor, welche Chemie eingesetzt werden darf: Glyphosat. Und vor allem, welche Pestizide samt Umverpackungen für diesen Tag verschwinden müssen. „Da werden sogar die Steine grün angestrichen“, berichtet ein Gewerkschafter vor Ort.

„Es duscht einen!“

Nächste Station: Costa Rica, ein Viertel der deutschen Bananen kommt von hier. Ein Video von Arbeitern zeigt, wie sie im Sprühnebel der Chemieflugzeuge arbeiten. Dreimal im Monat komme das vor, sagt einer. „Es fliegt über einen hinweg und duscht einen!“ Einer der Betriebe produziert für Aldi. Auch er hat ein „Rainforest Alliance“-Siegel. Aldi will untersuchen – und nimmt die Produkte des Herstellers so lange aus dem Sortiment.

104.289 Bio-Siegel aktuell in Deutschland

Wer also ist diese „Rainforest Alliance“? In den vergangenen zehn Jahren habe die Organisation die Einnahmen auf 90 Millionen Dollar verdoppelt. Millionenspenden kommen von Jacobs, Walmart und Ikea. Das große Geschäft bringen mit 60,3 Prozent aber die Lizenzgebühren – also der Verkauf des Grüner-Frosch-Siegels. Zwei Zahlen dazu: 78 Prozent der Verbraucher in Deutschland gaben schon 2019 an, dass Siegel ihre Kaufentscheidung erleichtern. Im Juni 2023 trugen in Deutschland 104.289 Produkte Bio-Siegel.

Noch gibt es Bananen in jedem Supermarkt. Aber wird das auch in Zukunft so sein?

Entwarnung gibt es nicht, im Gegenteil: "Die Situation ist wirklich dramatisch", sagt Gert Kema von der niederländischen Universität Wageningen, einer der weltweit führenden Bananenforscher. "Gegen diesen neuen Erreger der Panama-Krankheit gibt es kein Mittel. Und gegen weitere Pilze helfen nur riesige Mengen an Fungiziden. Die Banane, die wir kennen, ist extrem bedroht - und ein Nachfolger nicht in Sicht."

Geklonte Pflanzen

Cavendish heißt die Sorte, die zu mehr als 95 Prozent den globalen Bananenhandel dominiert, in Deutschland sogar zu 99 Prozent. Während wilde Bananenpflanzen erbsengroße Samen enthalten können, ist die Cavendish samenlos - die Frucht entwickelt sich ohne Bestäubung.

Die Cavendish-Banane vermehrt sich mithilfe von abgeschnittenen Trieben, die in den Boden gesteckt werden. Damit sind praktisch alle Cavendish-Bananen auf der Welt geklont: Sie sind genetisch gleich. "Bananen sind die schlimmste, verrückteste Monokultur der Welt", sagt Kema.

Über eine Million Tonnen Bananen essen die Deutschen jedes Jahr. Damit haben sie eine Spitzenposition in Europa - mit enormer Preismacht. Denn ein Drittel des gesamten EU-Bananenimports landet auf heimischen Ladentischen, in den Supermärkten und bei den Discountern. In einem gnadenlosen Preiskampf verkommt hier die gelbe Frucht zur Ramschware. Der Preis für Bananen ist seit 20 Jahren nicht gestiegen. Der Film deckt die erstaunlich große Macht deutscher Supermarktketten auf und zeigt, welch dramatische Folgen unser Billigwahn für Arbeiter und Umwelt in den Anbauregionen Lateinamerikas hat.
Trotz möglicher Alternativen greifen die Kunden vor allem zu den Billigangeboten. Entgegen allen Lippenbekenntnissen fristen Bio- und Fair-Trade-Bananen ein Nischendasein. Der über ein Jahr lang recherchierte Film zeigt in eindringlichen Bildern: Die wahre "Bananenrepublik" liegt heutzutage nicht mehr in Lateinamerika, sondern in Deutschland.
Die Banane ist das meistkonsumierte Frischobst der Welt und auch die beliebteste Südfrucht der Deutschen: Rund 18 Kilo werden hierzulande im Schnitt jährlich pro Privathaushalt verzehrt. Obwohl Bananen per Schiff aus Ländern wie Peru, der Dominikanischen Republik, Kolumbien oder Ecuador importiert werden müssen, kosten sie häufig nur halb so viel wie heimische Äpfel. Der Preisdruck wird häufig an die Produzent*innen weitergereicht, und das bei stetig steigenden Produktionskosten.
Herausforderungen

Der Klimawandel mitsamt seinen Folgen ist die größte Herausforderung der Agrarproduktion. Er beeinflusst auch den Bananenanbau massiv: Extreme Hitzewellen, Überschwemmungen oder außergewöhnliche Kälteperioden bedrohen die Ernten. Hinzu kommen Pflanzenkrankheiten wie Fusarium TR4. Diese gefährden nicht nur die Verfügbarkeit der Banane, sondern auch Lebensgrundlagen der Produzent*innen.

Kleinbauernfamilien fürchten um ihre Existenz, da sie dem Preisdruck, der von Exporteuren, Importeuren und Supermärkten ausgeht, oft nicht standhalten können. Das Überleben der Kleinbauernfamilien, die in Konkurrenz mit riesigen Bananenplantagen stehen, ist nicht gesichert.

Arbeiter*innen auf nicht Fairtrade-zertifizierten Bananenplantagen arbeiten oft unter katastrophalen Arbeitsbedingungen. Dazu gehören teilweise Arbeitszeiten von bis zu 15 Stunden und willkürliche Gehaltszahlungen, die meist weit unter dem Mindestlohn liegen. Das liegt unter anderem daran, dass unabhängige Gewerkschaften fehlen – auf vielen konventionellen Bananenplantagen sind diese verboten.

Bananen sind „Pestizid-Weltmeister": Die meisten Verbraucher*innen kaufen am liebsten makellose Bananen. Deshalb werden Pestizide oft großzügig und unkontrolliert eingesetzt – mit enormen Risiken für Mensch und Natur. Dazu gehören gesundheitliche Schäden für Arbeiter*innen bis hin zum Verlust der Biodiversität. Für Fairtrade-Bananen gibt es dagegen strenge Umweltstandards. Dadurch sind auch konventionelle Fairtrade-Bananen nachhaltiger als herkömmliche Bananen.

Warum Fairtrade den Unterschied macht

Der faire Handel unterstützt die Arbeiter*innen auf den Bananenplantagen und setzt sich gleichzeitig für die Bananen-Kleinbauernfamilien ein

Gedüngt wird beim Bio-Bananenanbau wie folgt: >Pflanzenmaterial der abgeschlagenen Pflanzen wird auf der Stelle mit der Machete zerkleinert und sichelformig um den Schößling gelegt »Kompost wir hergestellt »nie wird Dünger unkompostiert aufs Feld gebracht (BCS-Auflage) »der Dünger besteht hauptsächlich aus Kuhmist, Ziegenmist, Schafmist, geschredderten Bananenstengeln (Kalium!), Reisasche, Asche aus Sägespänen, Stroh, Bananenschalen, Kakaoblättern. Zur Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit wird außerdem der Anbau von Leguminosen von der BCS vorgeschrieben. Dabei handelt es sich um Gandules (Linsenart). Die Pflanzen sollen am Feldrand und in der Plantage stehen. Sie werden außerdem in eigenen Feldern angebaut, dann zerkleinert und dem Kompost zugegeben. Pflanzenschutz: Das Unkraut wird manuell geschnitten »gegen die Blattkrankheit Sigatoka wird alle 10-14 Tage mit Kryphton oder Milagros (Metallsulfate, BCS-zertifiziert) geflogen »zum Schutz gegen Insekten werden Tüten an der Staude angebracht, sobald sich die Blüte zeigt »Gegen Kronenfäule wird eine Tinktur aus Citrex, Zitronensaft (0,1%) und Alaun (10%) mit dem Pinsel aufgebracht »Rund um und in der Packstation wird zur Desinfektion und zum Fernhalten von Insekten, wie z.B. Kakerlaken, Kalk ausgestreut.

Mit Material des ZDF, das Erste, Faire Trade und Querbeet.

20.09.2023 09:53
Fairness muss erzwungen werden – sonst passiert wenig und Unfairness triumphiert
Ohne das Lieferkettengesetz gäbe es vermutlich kaum Bewegung in den Produktions- und Lieferketten in Deutschland, Europa und international. Darauf wurde in diesem Blog schon vielmals aufmerksam gemacht – und das ist auch im "Fairness-Check" zu erkennen. Cordula Rhode hat (in der taz) anlässlich der Fairen Woche in Deutschland einen genaueren Blick auf den aktuellen Stand der Lieferketten und der Notwendigkeit, mit der EU noch mehr für die Fairness in Lieferketten zu sorgen – vor allem auch zugunsten der meisten prekären Beschäftigten:

„Bereits im Februar 2022 hat die EU-Kommission ihren Vorschlag für ein Gesetz über Nachhaltigkeitspflichten von Unternehmen vorgelegt, die Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD). Sie soll verbindliche Regelungen in den Bereichen Menschenrechte, Klima und Umwelt treffen. Im Dezember desselben Jahres einigten sich die EU-Länder auf ein Lieferkettengesetz. Im EU-Parlament stimmte im Juni 2023 eine Mehrheit für eine Verschärfung des ursprünglichen Gesetzesvorschlags der EU-Kommission. Nun folgt der Trilog-Prozess, in dem die drei gesetzgebenden EU-Institutionen (Kommission, Parlament und Rat) die endgültige Ausgestaltung der Richtlinie verhandeln. Erfolgt eine Einigung, wird das Gesetz in Kraft treten.

Im Vergleich zum deutschen Lieferkettengesetz (LkSG), das seit dem 1. Januar 2023 gilt, gehen die Forderungen des EU-Gesetzes in vielen Bereichen weiter. Anders als das deutsche Gesetz differenziert zum Beispiel das EU-Gesetz bei der Existenzsicherung zwischen Lohn und Einkommen. „Dies ist von großer Bedeutung, da rund ein Drittel der von uns konsumierten Lebensmittel von kleinbäuerlichen Betrieben produziert werden, die als unabhängige Ateur:innen keinen Lohn bekommen, sondern sich ein Einkommen erwirtschaften“, erläutert Stephanie Seeger vom Weltladen Dachverband. Ihre berufliche Existenz würde durch das neue Gesetz endlich geschützt. Die Umsetzung dieses Rechts wird aber vermutlich nicht einfach: „Bei Verstößen liegt die Beweislast allein bei den Betroffenen, während die ‚Informationsmacht‘ bei den Unternehmen liegt.“ Es scheint eher unwahrscheinlich, dass diese eine:r Kläger:in volle Einsicht in ihre Unterlagen geben würden.

Die Bundesregierung hatte in der Verhandlung im EU-Rat eine Protokollnotiz zur sogenannten „Safe Harbour“-Klausel durchgesetzt und knüpft ihre Zustimmung zu einem EU-Lieferkettengesetz an diese Klausel: Sie würde es Unternehmen etwa erlauben, Produkte oder Produktionsprozesse von externen Prüfern als einwandfrei zertifizieren zu lassen oder sich an bestimmten Brancheninitiativen zu beteiligen. Auf diese Weise müssten sie dann nur noch haften, wenn ihnen Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit nachgewiesen werden. „Diese Forderung, die einen der wichtigsten Aspekte des geplanten Gesetzes aushebeln würde, wurde aber nicht in den Vorschlag des EU-Parlaments übernommen“, erklärt Stephanie Seeger. Im Trilog werde sich nun zeigen, ob die Bundesregierung weiter auf der Regelung besteht – eine der vielen noch offenen Fragen. „Natürlich wird dieses Gesetz noch zahlreiche Schwachstellen haben“, so die Expertin, „aber es ist gut und wichtig, dass es überhaupt kommen wird.“

Fachleute sehen noch zahlreiche Schlupflöcher für die Unternehmen. Mehr als 140 Organisationen, auch der Weltladen Dachverband, fordern in der „Initiative Lieferkettengesetz“ gemeinsam konsequente und verbindliche Regelungen. Vor vier Jahren wurde die Initiative gegründet, um das damals in Planung befindliche deutsche Lieferkettengesetz im öffentlichen Bewusstsein zu verankern und Einfluss auf die Politik nehmen. „Nachdem dieses Gesetz auf den Weg gebracht war, haben wir uns auf das geplante EU-Gesetz konzentriert“, erzählt Michelle Trimborn, Koordinatorin der Initiative. „Wir hoffen, dass das Gesetz zahlreiche Lücken des deutschen Gesetzes schließen wird.“ Einen der wichtigsten Unterschiede sieht die Initia­tive darin, dass das EU-Gesetz sich nicht auf den Aspekt der klassischen Menschenrechte beschränkt, sondern auch Bestimmungen zu Umwelt- und Klimaschutz fest verankert.

Zahlreiche Beispiele verdeutlichen, wie eng alle drei Themen meist verzahnt sind. So sind in der Produktion von Leder und Schuhen in Ländern wie Indien und Bangladesch minimale Löhne, Kinder- und Tagelohnarbeit der Normalfall. Durch den Kontakt mit vielen Giftstoffen sind die Arbeiter:innen einem hohen Gesundheitsrisiko ausgesetzt, ihnen drohen Haut- und Atemwegserkrankungen, Benzolvergiftungen und Krebs. Eine gesundheitliche Absicherung durch die Arbeitgeber erfolgt im Normalfall nicht, Gewerkschaften oder andere Interessenvertretungen werden in den meisten Herstellerländern gesetzlich verhindert. Auch die Umweltschäden durch hochtoxische Industrieabfälle sind enorm.

Die fertigen Waren, die die Kunden bei großen Unternehmen wie Deichmann und Zalando erwerben, haben also eine lange Lieferkette hinter sich, die bereits in ihren Anfängen weder Menschenrechte noch Umweltschutz berücksichtigt. Nur wenn ein Gesetz wirklich alle Schritte der Produktion reglementiert und nicht, wie das deutsche Gesetz, zwischen direkten und indirekten Zulieferern unterscheidet (für letztere sind Unternehmen nur in wenigen Ausnahmefällen verantwortlich), kann auf Dauer Abhilfe geschaffen werden.

„Wir richten das Augenmerk auch auf die nachgelagerte Wertschöpfungskette, die im Gesetz verankert werden soll“, erklärt Michelle Trimborn. Dies beziehe sich zum Beispiel auf Aspekte wie Abfallentsorgung, aber auch die Verwendung des jeweiligen Produktes. „Auch hier müssen die Unternehmen in die Verantwortung genommen ­werden.““

13.09.2023 10:52
„Fair. Und kein Grad mehr!“
„Fair. Und kein Grad mehr!“ – unter diesem Motto geht die Faire Woche am 15. September – pünktlich zum globalen Klimastreik in die nächste Runde. Gemeinsam rufen die Veranstalter dazu auf, sich dem weltweiten Protest anzuschließen und gemeinsam für Klimagerechtigkeit stark zu machen. Denn ein Blick auf die Extremwetterereignisse des Hitzesommers 2023 verdeutlicht: Der Klimawandel hat schon jetzt enorme Auswirkungen.

„Vor allem im Kaffeeanbau leiden die Menschen unter den Wetterextremen. Viele sind gezwungen, den Anbau aufzugeben oder auszuwandern, auf der Suche nach einem besseren Auskommen. Aber es gibt auch Hoffnung: Ich habe selbst gesehen, welchen Unterschied der Faire Handel für Produzentinnen und Produzenten machen kann“, sagt Maira Elizabeth López, Mitglied der Fairtrade-zertifizierten Kooperative Agraria Norandino aus Peru.

Bis zum 29. September informiert die Faire Woche mit mehr als 2.100 Veranstaltungen, wie der Faire Handel zu mehr Klimagerechtigkeit beiträgt. Organisiert wird die Aktionswoche vom Forum Fairer Handel in Kooperation mit dem Weltladen-Dachverband und Fairtrade Deutschland.

Im Zentrum der Fairen Woche 2023 steht die Forderung nach Klimagerechtigkeit.

Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze, Schirmherrin der Aktionswoche, erklärt dazu: „Die Auswirkungen des Klimawandels treffen die Länder des Globalen Südens mit besonderer Härte: So wie jüngst in Indien, wo extreme Monsunregen für Überflutungen und Erdrutsche sorgten oder in Ostafrika, wo die schlimmste Dürre seit 40 Jahren herrscht, Ernten zerstört und das Vieh sterben lässt. Doch anders als bei uns sind viele Menschen in unseren Partnerländern ganz auf sich gestellt, wenn sie solche Katastrophen treffen. Deshalb gehört für mich der Aufbau von sozialen Sicherungssystemen zu einer engagierten und ganzheitlichen Klimapolitik dazu. Dass wir in den Industrieländern unseren fairen Anteil an dieser Aufgabe tragen, ist für mich eine Frage der Gerechtigkeit.“

Fairer Handel ist Teil der Lösung

Der Faire Handel ist Teil der Lösung auf dem Weg zu mehr Klimagerechtigkeit weltweit. „Er macht Kleinbäuerinnen und -bauern widerstandsfähiger gegen die Folgen der Klimakrise und setzt sich für eine gerechte Klimapolitik, die Eindämmung des Klimawandels und zukunftsfähige Produktionsweisen ein“, fasst Andrea Fütterer, Vorstandsvorsitzende des Forum Fairer Handel, zusammen. „Sinkende Erträge infolge der Klimakrise bei gleichzeitig horrend steigenden Lebenshaltungs- und Produktionskosten machen vielen Kleinbäuerinnen und -bauern im Globalen Süden zu schaffen. Faire und verlässliche Handelspartnerschaften eröffnen Zukunftsperspektiven, die im konventionellen Handel immer mehr Menschen verweigert werden“, ergänzt Becki Möbius, Vorständin des Weltladen-Dachverbandes.

Klimagerechtigkeit braucht Handelsgerechtigkeit

„Handelsgerechtigkeit ist für uns die zentrale Grundlage, damit die Menschen am Beginn der Lieferkette dem Klimawandel trotzen können“, konstatiert Fütterer. Denn Anpassungsmaßnahmen – etwa resilientere Anbaupraktiken – und das dafür notwendige Know-how sind mit massiven Kosten verbunden. „Umso wichtiger ist es, dass das EU-Lieferkettengesetz alle Akteure in die Pflicht nimmt, kostendeckende Preise zu zahlen“, fordert Möbius. „Weltläden stehen schon seit 50 Jahren für ein Wirtschaften, bei dem der Mensch und die Natur im Mittelpunkt stehen und nicht der Profit für einige wenige.“ Zudem muss Deutschland seine gerichtlich eingeforderten Klimaverpflichtungen einhalten und internationalen Vereinbarungen zur Eindämmung der Klimakrise nachkommen. Dass die Bundesregierung mit der Bereitstellung von internationalen Klimahilfen in Höhe von rund 6,3 Milliarden Euro frühzeitig ihr für 2025 zugesagtes Ziel erreicht hat, ist ein positives Signal. In Zukunft gilt es, den Beitrag von 6 Milliarden Euro jährlich auszubauen. Aus Sicht der Fair-Handels-Bewegung müssen besonders kleinbäuerliche Kooperativen sowie kleine Handwerksbetriebe unbürokratischen Zugang zu finanziellen Fördermitteln erhalten.

Service
Den Veranstaltungskalender der Fairen Woche finden Sie unter www.faire-woche.de/kalender
Pressekontakte
Katrin Frank, Forum Fairer Handel e.V., Tel.: 030 - 28045259, [email protected]
Hannah Maidorn, Fairtrade Deutschland e.V., Tel.: 0221- 94 20 40 94, [email protected]
Christoph Albuschkat, Weltladen-Dachverband e.V., Tel.: 06131- 68 907-81, [email protected]

Faire Woche 2023: Von A wie Ausstellung bis Z wie Zukunftswerkstatt: Kennzeichnend für die größte Aktionswoche des Fairen Handels in Deutschland ist die große Vielfalt an Veranstaltungen. Es sind niedrigschwellige Mitmachangebote, die alle Menschen dazu einladen, den Fairen Handel kennenzulernen und mehr darüber zu erfahren. Veranstalter der Fairen Woche ist das Forum Fairer Handel e.V. in Kooperation mit Fairtrade Deutschland e.V. und dem Weltladen-Dachverband e.V. Die Faire Woche wird gefördert durch ENGAGEMENT GLOBAL mit Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, durch Brot für die Welt mit Mitteln des Kirchlichen Entwicklungsdienstes sowie durch MISEREOR.

"Wer verkauft Faires fair?"

11.09.2023 13:02
Fairness und Klugheit gehen anders - Lehrermangel mutwillig provoziert
Das ist nicht zu fassen: In Deutschland fehlen knapp 14.500 Lehrkräfte an den Schulen – und etliche Bundesländer schicken ihre Referendare, befristet eingestellte Lehrkräfte und Honorar-Lehrkräfte während der Sommer-Schulferien in die Arbeitslosigkeit. Beziehungsweise zur Arbeitsagentur, um sich arbeitslos zu melden und wenigstens Bürgergeld zu bekommen. Gewerkschaften finden das nicht nachvollziehbar - vor allem vor dem Hintergrund des dramatischen Lehrkräftemangels. Es ist grotesk – und gegenüber den Lehrenden krass unfair und politisch unklug, um nicht zu sagen: dumm.

Denn es wird die Motivation für den Lehrberuf nicht steigern. Und wer schon mal davon gehört und gelesen hat, wird den Beruf ganz meiden.
Bei Referendaren sieht das so aus: Die zweite Phase der Ausbildung nach dem Studium mit praktischem Einsatz in der Schule, wird auch Vorbereitungsdienst genannt. Dauer je nach Bundesland 12 Monate (z.B. Brandenburg) bis 24 Monate (z.B. Bayern und Thüringen), in den meisten Ländern sind es 18 Monate wie in Baden-Württemberg. Vergütung abhängig von Bundesland und Schulform. Der "Anwärtergrundbetrag" liegt laut GEW zwischen 1.426 € und 1.595 € brutto (Stand Oktober 2021). Von wegen vermindert einsatzfähig wegen Lernprozess: Der Lehrermangel führt oft dazu, dass Referendare volle Leistung bringen müssen.

Der Bundesverband der GEW hat eine Umfrage innerhalb der eigenen Landesverbände gemacht. Laut dieser gibt es unter anderem in Bayern, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein keine Gehaltslücke für Referendarinnen bzw. sind sie dort durchgehend beschäftigt. In anderen Bundesländern gibt es kürzere Lücken als die sechs Wochen Sommerferien. In anderen beträgt die Lücke sogar bis zu sechs Monaten. Das liegt an den unterschiedlich langen Referendariaten.

Der deutsche Lehrerverband verurteilt, dass
Referendare mehr oder weniger lang auf Bürgergeld angewiesen sind. Es sei ein leidiges Thema. "Wer an Werktagen und Wochenenden für ein Bundesland gearbeitet hat, ihm und seinen Kindern gedient hat, der hat die Bezahlung der Sommerferien verdient", so der Präsident des Lehrerverbandes Stefan Düll.
"Stattdessen schicken Bundesländer wie beispielsweise Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen oder Nordrhein-Westfalen die frisch gebackenen Lehrerinnen und Lehrer zunächst in die Arbeitslosigkeit. Wertschätzung sieht anders aus".

Vor dem Hintergrund des dramatischen Lehrkräftemangels sei das Verhalten einiger Bundesländer nicht nachvollziehbar, so der GEW-Bundesverband.
Und der Lehrkräftemangel ist auch in Baden-Württemberg groß. Das Land hat aktuell gleich zwei Werbekampagnen gestartet, um neue Interessenten für den Job zu begeistern. Sowohl das Wissenschaftsministerium als auch das Kultusministerium werben mit Slogans wie: "Lieber Lehramt" und "Lust auf Veränderung? Dann werde Lehrkraft."

Dass die Referendarinnen und Referendare die Sommerferien über auf Bürgergeld angewiesen seien, sei kein Widerspruch dazu. Nach den Sommerferien hätten diese eine lebenslange Jobgarantie, wenn sie ein gewisses Maß an örtlicher Flexibilität zeigen würden. So das Kultusministerium. "Sie erhalten ein sehr attraktives Gehalt, eine private Krankenversicherung, Beihilfe, Familienzuschläge und eine Pension im Alter."
Alles in allem sei das ein hervorragendes Angebot, das auch nicht im Widerspruch dazu stehe, mehr Personen für ein Lehramtsstudium beziehungsweise für eine Tätigkeit als Lehrkraft zu begeistern. Die Werbekampagne koste so viel wie eine einzige Lehrerstelle für etwas mehr als zwei Jahre.

Man spare über die Sommerferien kein Geld ein, da man die Referendarinnen und Referendare nicht entlasse, sondern deren Arbeitsvertrag auslaufe.

Arbeiten ohne Bezahlung

Außerdem dürften die Referendare formal das Schulgebäude während der Sommerferien nicht betreten, weil sie nicht dort angestellt sind. Sie müssten aber, weil vor Schuljahresbeginn schon Konferenzen stattfinden. Und sie müssen unbezahlt im Sommer für die Schule arbeiten, so wie Referendar David Hanke. "Wenn man mit einem vollen Deputat wieder anfängt und dann nachher 25 Stunden in der Woche unterrichten soll, müssen die auch irgendwann vorbereitet werden."

Diese Praktiken der Kultusministerien gibt es schon seit Jahrzehnten. Lehrer und Lehrerinnen und Sparbrötchen der Landeshaushalte – bei gutem Einsatz für Schule, Unterricht, Schüler und Eltern.

Wer mehr Lehrkräfte händeringend sucht, sollte diese Praktiken schleunigst beenden und mehr Wertschätzung signalisieren und umsetzen. Sonst bleiben die Kultuspolitiker und -minister unglaubwürdig. Und der Lehrberuf unattraktiv. Fairness und Klugheit gehen anders.

(mit Material der Tagesschau)

31.08.2023 10:00
Kununu-Chefin Nina Zimmermann über die mangelnde Kritikfähigkeit vieler Arbeitgeber
Es mangelt nicht nur an Kritikfähigkeit, an kritischer Selbstreflexion und mitarbeiterorientiertem Gestaltungswillen in Unternehmen, sondern auch und vor allem an Transparenz, Fairness und Beteiligung.
Obwohl es in vielen Branchen an Personal fehlt. Oder gerade deshalb? Der Wettbewerb um kompetente Arbeitskräfte spitzt sich zu, schreibt Steffen Hermann in der Frankfurter Rundschau zu seinem Interview mit Kununu-Chefin Zimmermann: „Dabei wird der Auftritt von Unternehmen im Internet wichtiger – auch auf Plattformen wie Kununu. Dort können Beschäftigte ihre Arbeitgeber bewerten: Gehalt, Unternehmenskultur, Vielfalt. Schlechte Bewertungen drücken den Score – und verschlechtern die Chancen eines Unternehmens bei potenziellen Bewerberinnen und Bewerbern. Im Interview spricht Kununu-Chefin Nina Zimmermann über typische Beschwerden, Feedback-Probleme deutscher Unternehmen und Pay Gaps.

Frau Zimmermann, wegen der konjunkturellen Flaute herrscht in vielen Chefetagen eine schlechte Stimmung. Wie gereizt ist der Ton derzeit auf Ihrer Plattform?

Es ist nicht so, dass derzeit mehr negative Bewertungen kommen. Was man aber schon merkt: Wer sich in schlechten Zeiten von Mitarbeitern trennen muss, kann es gut oder schlecht machen. Und da müssen die Arbeitgeber noch viel lernen: Wie erhält man eine gute Unternehmenskultur, wenn die Zeiten härter werden?

Wie sieht denn eine gute Unternehmenskultur in schlechten Zeiten aus?

Offen und ehrlich mit der Situation umgehen, frühzeitig kommunizieren und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter teilhaben lassen.

Und die typischen Beschwerden auf Ihrer Plattform berichten dann vom Gegenteil?

Ja, eine Sache hat sich seit Jahren nicht verändert: Leute kommen oft wegen des Geldes, und sie gehen wegen des Chefs. Der Ton, das Umfeld, der Umgang miteinander – wenn es Probleme in einem Unternehmen gibt, dann häufig dort. Das sehen wir in unseren Daten.

Wie gehen Sie mit den Daten um, die sie durch die Bewertungen bekommen?

Ein Beispiel: Zwei Medienunternehmen, beide haben einen Score von 3,6, beide haben knapp 10 000 Mitarbeiter, die Sterne-Bewertungen sind ähnlich. Die Unterschiede verstecken sich häufig in den Texten, die die Bewertenden über das Unternehmen schreiben. Das ist der Schatz, den wir uns ganz genau anschauen. Damit können wir Arbeitgeber dann beraten, wenn sie offen dafür sind.

Spielt künstliche Intelligenz bei der Auswertung eine Rolle?

Ja, aber wir müssen noch viel lernen. Wir haben tolle Data-Science-Kollegen, die sich damit beschäftigen und helfen, die Plattform besser zu machen. Es gibt noch einiges zu tun, denn wir sitzen auf sehr vielen Daten.

Und wie verdient Kununu Geld mit diesen Daten?

Wir haben ein klassisches Werbemodell. Unternehmen können ihr Profil schöner und besser darstellen, indem sie ein Abo kaufen, dessen Preis sich nach der Unternehmensgröße richtet. Das Schöne ist: Die Unternehmen haben dann die Chance, mehr über sich zu erzählen – aber es ändert sich an der Mechanik der Plattform nichts. Das Ranking bleibt gleich und auch Unternehmen ohne Bezahlprofil können Bewertungen kommentieren.

Das heißt, die Unternehmen können kein besseres Ranking kaufen?

Nein, das wäre auch nicht im Sinne unserer Plattform. Wir wollen Mehrwert stiften.

Stichwort Mehrwert. Wie stellen Sie denn sicher, dass die Bewertungen ein realistisches Bild zeichnen? Wer mit seinem Arbeitgeber einigermaßen zufrieden ist, schreibt in der Regel keine Online-Bewertung.

Tja, beim Job ist es anders als beim Restaurant- oder Hotelbesuch. Da schreibt man eine Bewertung, wenn der Teller leer oder der Urlaub vorbei ist. Die Frage ist: Wann ist ein guter Zeitpunkt, einen Arbeitnehmer zu ermutigen, eine Bewertung zu schreiben? Wir raten Arbeitgebern, regelmäßig um Feedback zu bitten – zum Beispiel nach der ersten Bewerbungsrunde oder am Ende der Probezeit. Und klar: Man kann nicht 100 Prozent gewährleisten, dass das Bild stimmt, das die Bewertungen von einem Unternehmen zeichnen. Aber je mehr Bewertungen es gibt, desto genauer ist es in der Regel.

Prüfen Sie die Bewertungen denn?

Ja. Missbrauch können wir technisch identifizieren, zum Beispiel, wenn es mehrere Bewertungen in kurzer Zeit sind oder gleiche IP-Adressen. Unser System erkennt auch Schimpfwörter oder Namen, die werden sofort rausgefischt. Und selbstverständlich können sich auch Arbeitgeber bei uns melden, wenn sie der Meinung sind, eine Bewertung stimme nicht.

Können Sie denn sagen, welches Problem größer ist: Frustrierte Ex-Mitarbeiter:innen, die dem Arbeitgeber nach der Kündigung eine Ohrfeige geben wollen, oder Unternehmen, die die eigenen Bewertungen polieren wollen?

Das Problem liegt definitiv bei den Unternehmen. Und das ist ein kulturelles Thema: Im deutschsprachigen Raum tun wir uns schwer mit Feedback und Kritik. Das Problem wächst. Ich kann Ihnen Anekdoten erzählen von Unternehmen, die mich abends anrufen und sich beschweren, weil sie eine schlechte Bewertung bekommen haben. Dann schaue ich mir das Profil an und sehe: 19 tolle Bewertungen und eine ganz schlechte. Da denke ich mir: Macht euch locker!

Es fehlt also der Impuls, zu fragen: Was kann ich als Arbeitgeber verbessern?

Genau, meistens heißt es dann: Ich weiß ganz genau, wer die Bewertung geschrieben hat, dem haben wir gerade gekündigt. Ich sage dann: Okay, das ist doch verständlich. Vielleicht war der Kündigungsprozess nicht gut.

Sie sind seit Juni 2021 Chefin von Kununu. Haben Sie in dieser Zeit etwas über den Arbeitsmarkt gelernt, das Sie überrascht hat?

Da muss ich mich wiederholen: Das ist die Negativität aufseiten vieler Unternehmen, dass sie sich nicht mit Kritik auseinandersetzen. Ich dachte, da wären wir wirklich weiter. Positiv hat mich überrascht, wie wichtig Transparenz inzwischen ist. Wie offen viele Menschen inzwischen über ihre Arbeit sprechen, über das Gehalt und die Kultur in den Unternehmen. Und zwar weil sie anderen Menschen helfen wollen, die sich für einen Arbeitgeber interessieren.

Bei Transparenz ist der Weg nicht weit zur Gleichstellung und dem Gender Pay Gap. Sie sammeln ja auch Daten zu Gehältern. Was sind Ihre Erkenntnisse?

Tatsächlich haben wir zwei Dinge analysiert: Es gibt große Pay Gaps zwischen unterschiedlichen Städten. Und wir sehen auch, dass Frauen weiterhin deutlich benachteiligt werden. Ihre Gehälter sind schon beim Berufseinstieg teilweise 13, 14 Prozent niedriger als die der Männer. Das ist eine unerklärliche Lücke.

Ist das auch ein kulturelles Problem? Über Geld spricht man nicht?

Ja, aber auch da ändert sich etwas. Zumindest bei den jüngeren Generationen. Während man früher nicht mal den eigenen Eltern erzählt hat, was man verdient, ist das bei der Generation Z anders. Die jungen Menschen sagen: Ich brauche so viel Geld im Monat, deshalb muss es dieser Job sein. Es ändert sich also auch der Umgang mit Geld.

Sie sind gebürtige Britin, haben in London und Boston studiert, wohnen nun in Wien. Sie haben also immer wieder die Perspektive gewechselt: Was sollten deutsche Unternehmen lernen?

Ich wünsche den deutschen Unternehmen mehr Mut. Sie sollten erkennen, dass sie mit alten Methoden keinen Erfolg mehr haben werden. Mit der Generation Z muss man anders kommunizieren, die klassische Top-Down-Hierarchie funktioniert nicht mehr. Also: mehr Mut, Offenheit und Wertschätzung“.

Nina Zimmermann, 48, ist seit Juni 2021 Chefin des Portals Kununu. Dort können Beschäftigte ihre Arbeitgeber bewerten. Zuvor war die gebürtige Britin bei Burda, wo sie unter anderem für Bunte.de zuständig war. Sie studierte in London und Boston, machte Karriere bei Bertelsmann, der Telekom und der Karriereplattform Experteer.
"Fairness-Partner werden und die Unternehmenskultur verbessern"

29.08.2023 09:57
Die kalte Spitze krasser Unfairness mit tödlicher Neigung
Zur politischen Hetze gegen Zuwanderung und das Recht auf Asyl. Ein wütender Essay von Bascha Mika in der Frankfurter Rundschau (14.8.23):

„Worte sind Waffen. Gezielt eingesetzt können sie Wellen der Gewalt und Zerstörung auslösen und dabei nicht nur einzelne Menschen treffen, sondern ganze Gesellschaften schleichend zersetzen. „Worte können sein wie winzige Arsendosen“, schreibt der Schriftsteller Victor Klemperer. „Sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da.“
Ist es also Dummheit, Fahrlässigkeit oder kaltblütiges Kalkül, was sich Politiker und Politikerinnen der bürgerlichen Parteien derzeit leisten? Seit Monaten befeuern sie – mal grob, mal subtiler – den Diskurs über Zuwanderung und Asyl. Verunglimpfen Ausländer und Ausländerinnen, Migrantinnen und Migranten, Flüchtlinge. Bedienen rassistische Argumentationsmuster und entmenschlichen ihre Opfer. Mit ihren verbalen Attacken schrammen sie manchmal nur knapp an der Volksverhetzung vorbei – und die AfD freut sich.

Welche Synapsen haben sich wohl im Hirn des CSU-Politikers Peter Ramsauer verschaltet, als er in einer bösartigen Assoziationskette das Thema Fachkräftemangel mit ekligen Tieren verknüpfte? O-Ton: „Deng Xiaoping hat einmal gesagt: Wenn man die Fenster zu weit aufmacht, kommt auch viel Ungeziefer mit rein.“ Was macht man denn mit Ungeziefer, Herr Ramsauer? Man muss es vernichten, oder? Wer braucht schon Schädlinge im Haus oder Land?

Die Grundwerte einer pluralen Gesellschaft beginnen zu faulen, wenn mit ihnen gezockt wird. Die Brandmauer fällt, wenn an Menschenrechte der doppelte Standard angelegt wird, weil es politstrategisch gerade mal passend erscheint. Dabei ist der bayerische Bundestagsabgeordnete ja nur deshalb öffentlich aufgefallen, weil er einen besonders hässlichen Vergleich angestellt hat. Andere Politiker und Politikerinnen der etablierten Parteien, ob von SPD, FDP oder CDU, äußern sich in der Debatte um Asyl und Migration vielleicht weniger drastisch – aber keineswegs weniger menschenverachtend. Und suhlen sich fröhlich im braunen Gesinnungssumpf à la AfD.

Seid Ihr Volksvertreter noch ganz bei Trost? Oder schon völlig verantwortungsvergessen? Hört endlich auf damit! Tut doch nicht so, als wüsstet Ihr nicht, wo das endet. Inzwischen werden in Deutschland wieder jeden Tag zwei bis drei Geflüchtete attackiert. Bereits im vergangenen Jahr – auch provoziert durch die elende Asyldebatte in der Europäischen Union – sind die Angriffe auf Flüchtlingsheime gestiegen, zum ersten Mal seit 2015. In diesem Jahr werden sie weiter zunehmen, denn bis Juli wurden bereits 80 Anschläge oder Sachbeschädigungen registriert.

Selbstverständlich sind Fluchtbewegungen eine globale Herausforderung und Fluchtgründe so vielfältig wie die Menschen, die ihre Heimat verlassen – und zwar selten freiwillig. Nicht nur Deutschland und Europa müssen Lösungen rund um Fragen von Migration und Zuwanderung finden, was keineswegs einfach ist. Doch wollen wir in der aufgeklärten Moderne in die Barbarei zurückfallen oder uns dabei auf Errungenschaften der Zivilisation besinnen? Dass Menschenrechte unteilbar sind, zum Beispiel.

Bayern – wo sich Ministerpräsident Söder, Innenminister Herrmann und der Vorsitzende der Freien Wähler, Aiwanger, besonders gern einer menschenfeindlichen Rhetorik bedienen und Zuwanderung als bedrohlich markieren – steht bundesweit an der Spitze der rassistisch motivierten Attacken auf Schutzsuchende. 105 Angriffe auf Geflüchtete und 14 Anschläge auf Unterkünfte gab es bereits in diesem Jahr, meldet der bayerische Flüchtlingsrat.

So wird über Sprache ein Klima geschaffen, in dem Gewalt gegen spezifische Gruppen gesellschaftlich akzeptiert erscheint und dann auch weniger Mitgefühl in der Bevölkerung hervorruft. Wollt Ihr den Zusammenhang leugnen? Wie weit ist es wohl von Euren Worten zu Taten? Vom Schlagwort zum Brandsatz? Wie viele Neonazis sind denn in den vergangenen Jahrzehnten schon losgezogen – aufgestachelt von einer aggressiv fremdenfeindlichen Stimmung im Land, die Ihr mit aufgeheizt habt? Gewaltverliebte Jungmänner, Mordlust im Auge, die glaubten, des Volkes Willen zu vollstrecken: „Wir tun was, wo andere nur quatschen!“

Muss man Euch wirklich erinnern?

Eberswalde 1990: Amadeu Antonio wird von Neonazis gejagt und totgeschlagen.

Hoyerswerda 1991: Unter dem Beifall der umstehenden Menge attackieren Rechtsextremisten über Tage die Heime von Asylsuchenden, Vertragsarbeitern und -arbeiterinnen, vertreiben die Menschen, die hier wohnen, mit Steinen und Brandflaschen.

Mölln 1992: Beim Brandanschlag auf Wohnhäuser türkischer Familien werden Bahide Arslan und zwei ihrer Enkelinnen ermordet.

Rostock-Lichtenhagen 1992: Tagelang belagern Hunderte Neonazis und Tausende Schaulustige die Unterkünfte von Asylsuchenden, Vertragsarbeitern und -arbeiterinnen. Ein Heim, in dem sich 100 Vietnamesen und Vietnamesinnen verschanzt haben, wird in Brand gesteckt.

Solingen 1993: Bei einem rassistisch motivierten Brandanschlag auf das Haus der türkischstämmigen Familie Genc werden fünf Mädchen und Frauen getötet.

Schlaglichter auf die rassistische Gewalt nach der deutschen Wiedervereinigung. Mindestens 42 Menschen wurden zwischen 1990 und ’92 von Neonazis ermordet. Allein 1992 wurden über 2500 rechtsextreme Gewalttaten gezählt. Ein überbordender, vernichtender Hass. Und der kam auch damals keineswegs von ungefähr. Angestachelt von einer lang anhaltenden, erbitterten Debatte um Flüchtlinge und Asylrecht nach der Wende, war er eingebettet in eine weit verbreitete, extrem ausländer- und migrationsfeindliche Stimmung im Land.

„Asylantenschwemme“, „Asylschmarotzer“, „Flüchtlingsflut“, „Überfremdung“. So die Worte – die Taten folgten. Als Anpeitscherin trieb die Union die übrigen Parteien vor sich her, um eine Änderung des Grundrechts auf Asyl zu erzwingen. Das ist ihr zwar zynischerweise nach dem Pogrom in Rostock-Lichtenhagen mit dem sogenannten Asylkompromiss gelungen, aber profitiert haben vor allem die rechtsextremen Republikaner. Auf der Woge des „Asylmissbrauchs“ konnte die Partei in Berlin und Brüssel in die Parlamente einziehen.

Es gibt eine lange Geschichte des militanten Rassismus in Deutschland, eine bittere Kontinuität rechter und rechtsterroristischer Gewalt auch nach den 1990er Jahren. Die Morde des NSU, der Anschlag von Halle, das Attentat in Hanau ... Dennoch zeigt die Statistik des Schreckens immer dann Höhepunkte auf, wenn über öffentliche Hetzreden ein gesellschaftliches Umfeld geschaffen wird, das die Hemmschwellen senkt, von dem die Täter sich legitimiert und getragen fühlen.

Und heute?

Da gibt Innenministerin Nancy Faeser die sicherheitspolitische Hardlinerin, operiert gezielt mit dem Reizwort „Clankriminalität“ und distanziert sich nicht von Vorschlägen der Länder, „Clanmitglieder“ umstandslos abzuschieben – obwohl dies rechtsstaatlich kaum möglich ist. Hauptsache, es werden virulente Ressentiments bedient, um dann die Law-and-Order-Lösung zu präsentieren. Und weil es sich unter den Taliban so gut leben lässt, will Faeser auch gleich noch das Abschiebeverbot nach Afghanistan aufheben.

Da schwadroniert Thorsten Frei, parlamentarischer Geschäftsführer der Union, von „Asylmissbrauch“ und fordert, das Individualrecht auf Asyl in der Europäischen Union ganz abzuschaffen. Stattdessen plädiert er für eine Kontingentlösung. Interessant. Wollen wir dann nicht auch für andere Grundrechte eine mengenmäßige Quote einführen? Applaus für Frei kommt vom Parteivorsitzenden Friedrich Merz; der freut sich offenbar, dass sein Kollege das Gedankengut der Rechtsextremisten bereits so wunderbar inhaliert hat. „Manche mögen’s rechts“, spottet die Satiresendung Extra3 über das Fischen der Union im trübbraunen Teich. Jan Böhmermanns Urteil über die CDU fällt eindeutig härter aus: „Nazis mit Substanz.“

Da palavert Thüringens FDP-Vorsitzender Thomas Kemmerich über Flüchtlinge aus der Ukraine und ärgert sich, dass die noch im Land sind. Schließlich kämen ja nicht alle aus Kriegsgebieten, deshalb solle man sie doch abschieben. Das sagt derselbe Kemmerich, der kein Problem damit hat, sich mit Reichsbürgern und AfD-Spitzenpersonal sehen zu lassen. Und der parlamentarische Mehrheiten im Thüringer Landtag, die mit Obernazi-Höckes Gnaden zustande kommen, völlig okay findet.

Die Leipziger Autoritarismus-Studie von 2022 belegt, dass über zwei Millionen Deutsche ein geschlossen rechtsextremes Weltbild haben. Dazu gehören Fremdenhass, Antisemitismus, Chauvinismus und Sozialdarwinismus, es geht gegen Migranten und Migrantinnen, Muslime und Musliminnen und andere marginalisierte Gruppen – aber auch Frauen. Wie sagte es doch Maximilian Krah, AfD-Spitzenkandidat für die Europawahl: „Echte Männer sind rechts.“ Und frauenfeindlich.

Dabei stellt die Leipziger Studie fest, dass die manifeste Zustimmung zu rechtsextremen Aussagen zwar seit zwei Jahren abnimmt, die latente Zustimmung hingegen wächst, vor allem im Blick auf Ausländerfeindlichkeit. Es sind diese, in ihrer Einstellung noch nicht gefestigten Bevölkerungsgruppen, bei denen die AfD ihr Mobilisierungspotenzial sieht.

Und demokratische Politiker und Politikerinnen haben offenbar nichts Besseres zu tun, als die grassierende, feindliche Gesinnung im Land durch ihr gewissenloses Gerede zu bestärken – auf dass aus verkappten Rechtsextremen entschlossene Überzeugungstäter werden. Das ist zum Fürchten".

21.08.2023 13:32
Diskriminierung stoppen - AGG verbessern - Antidiskriminierung fördern
Anlässlich des Jahrestags des Inkrafttretens des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) kritisierten die Vertreter*innen des Bündnisses AGG Reform – Jetzt! die Untätigkeit der Ampelkoalition bei der Verbesserung des Diskriminierungsschutzes. Deutschland hat eines der schwächsten Antidiskriminierungsgesetze in Europa und trotzdem bleibt der von der Ampel im Koalitionsvertrag in Aussicht gestellte Fortschritt bei der Reform des AGG aus. Dieser Zustand ist insbesondere angesichts des stetig wachsenden Zuspruchs fu¨r rechtsextreme Parteien und ihre Bewegungen fu¨r Betroffene und ihre Vertreter*innen nicht hinnehmbar.

Diskriminierung ist antidemokratisch und gefährdet den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Deutschland ist Schlusslicht, wenn es um die Gewinnung von Fachkräften geht. Als Wirtschaftsstandort sollte das Land alles im globalen Wettbewerb um Fachkräfte dafu¨r tun, um diese fu¨r den deutschen Arbeitsmarkt zu gewinnen und auch zu halten. Auf der Pressekonferenz hat das Bu¨ndnis AGG Reform – Jetzt! mit verschiedenen Betroffenenperspektiven auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und seine Schutzlu¨cken geblickt und verdeutlicht, welche beachtlichen Auswirkungen der Mangel an Diskriminierungsschutz fu¨r das Leben von Betroffenen hat.

Der ehemalige kommissarische Leiter der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Bernhard Franke, der sich jetzt ehrenamtlich in dem Bu¨ndnis engagiert, erklärt, dass es bei der Reform auch um die Stärkung von Grundrechten Betroffener durch einen besseren Rechtsschutz und kollektive Klagemöglichkeiten geht. Diskriminierung sollte abschreckend sanktioniert werden und Betroffene nicht Entschädigungssummen tolerieren mu¨ssen, “die sich quasi aus der Portokasse begleichen lassen.”, sagt Bernhard Franke.


Oriel Klatt von der Gesellschaft gegen Gewichtsdiskriminierung (GgG) stellt fest, dass dicken Amtsanwärter*innen häufig eine Verbeamtung versagt wird und somit “Gleicher Lohn fu¨r gleiche Arbeit” fu¨r sie nicht gilt. Daher fordert das Bu¨ndnis AGG Reform – Jetzt! die Erweiterung des Diskriminierungsmerkmalskatalogs im AGG unter anderem um die Kategorie “Körpergewicht”, denn “in Diskriminierungsfällen, bei denen kein Bezug zu den im AGG genannten Kategorien hergestellt werden kann, ist das AGG nutzlos und die Betroffenen damit schutzlos”, sagt Oriel Klatt (GgG).

Prof. Dr. Sigrid Arnade vom Deutschen Behindertenrat (DBR) betont, dass es unbedingt eine Verpflichtung fu¨r angemessene Vorkehrungen im AGG und somit auf dem Arbeitsmarkt, im Dienstleistungsbereich und dem Waren- und Gu¨terverkehr braucht. “Als Rollstuhlfahrerin habe ich keine freie Arztwahl, wie sie in § 76 SGB V eigentlich jeder Bu¨rgerin garantiert wird. Ärzt*innen sind nicht grundsätzlich zur Barrierefreiheit verpflichtet. Um diese Diskriminierungen zu beenden, muss das AGG ergänzt werden”, sagt Prof. Dr. Sigrid Arnade (DBR).

Karen Taylor von der Bundeskonferenz der Migrant*innenorganisationen (BKMO) macht darauf aufmerksam, dass zu viele Menschen aufgrund von Diskriminierung und Rassismus schlechtere Lebenschancen haben. Damit das Chancenland Deutschland fu¨r alle Realität wird, fordert Karen Taylor die FDP und insbesondere Justizminister Buschmann auf, die Blockadehaltung aufzugeben und endlich das AGG als wichtigen Baustein im Kampf gegen Rassismus zu gestalten.

Pia Sombetzki von AlgorithmWatch betont, dass algorithmenbasierte Diskriminierung jede*n betreffen kann und es aktuell keinen Schutz davor gibt. “Wenn das AGG so bleibt, wie es jetzt ist, blicken Betroffene von Diskriminierung in eine du¨stere Zukunft – denn es wird unter den gegebenen Umständen so gut wie unmöglich sein, gegen Diskriminierung dieser Art vorzugehen”, sagt Pia Sombetzki (Algorithm Watch).

Besonders häufig und existenziell bedrohlich ist Diskriminierung auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt. Alexander Thom von der Fachstelle Fair mieten – Fair wohnen in Berlin macht darauf aufmerksam, dass Wohnraum essentiell fu¨r die gesellschaftliche Teilhabe von Menschen ist. Dabei sei es aber vor allem wichtig , dass neben den Maßnahmen gegen Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt im AGG auch die Rechtsdurchsetzungmöglichkeiten von Betroffenen gestärkt
werden mu¨ssen. U.a. durch Beweislasterleichterung und Auskunftsrechte, da Diskriminierung nicht leicht nachzuweisen ist. “Unsere Ratsuchenden können bei der Bewerbung auf eine Wohnung gar keine Einsicht in die internen Abläufe der Unternehmen gewinnen, um die Diskriminierungen widerspruchsfrei zu beweisen. Ohne Beweislasterleichterung wäre der Gang vors Gericht in diesen Fällen aussichtslos und der Schutz vor Diskriminierung damit nur theoretisch”, sagt Alexander Thom (Fair mieten-Fair wohnen).

Larissa Hassoun vom Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff) weist Deutschland auf seine internationalen Verpflichtungen zum Schutz vor sexueller Belästigung auf dem Arbeitsmarkt hin. Hassoun betont auch, dass es fu¨r den Diskriminierungsschutz von allen Beschäftigten, funktionierende Beschwerdestellen in Betrieben braucht. “Fakt ist: 17 Jahre nach Einfu¨hrung des AGG tun viele Arbeitgeber*innen noch zu wenig, um Diskriminierungsschutz im Unternehmen umzusetzen. Es braucht eine klare Botschaft an Arbeitgeber*innen: Die Erfu¨llung ihrer Schutzpflichten ist keine freiwillige Leistung”, sagt Larissa Hassoun von bff. Es fehle außerdem, so Hassoun, “im AGG der Schutz vor sexueller Belästigung in allen anderen Lebensbereichen, denn sexuelle Belästigung geschieht nicht nur am Arbeitsplatz sondern auch beim Einkauf, bei Behördenterminen oder beim Arzt – auch hier mu¨ssen Betroffene sich rechtlich wehren können.”

Eva Andrades vom Antidiskriminierungsverband Deutschland (advd) stellt außerdem fest, dass Antidiskriminierung nachweislich auch die Wirtschaft und Unternehmen stärkt, da Arbeitskräfte besser eingesetzt werden und es weniger personelle Fluktuation gibt. Eine starke Antidiskriminierungspolitik in Unternehmen erzeuge motiviertere Mitarbeiter*innen, da Karriereoptionen besser gestaltet werden und ein höheres Gerechtigkeitsempfinden im Unternehmen herrscht. Außerdem betont Eva Andrades im abschließenden Resu¨mée, dass Antidiskriminierung kein Nischenthema ist und die Verbände im Bu¨ndnis Millionen von Menschen vertreten. Ein effektives AGG wu¨rde, laut Eva Andrades, mehr Partizipation und Fairness in der Gesellschaft ermöglichen und mit der Stärkung der Grundrechte einhergehen. Das Bekenntnis zu einem umfassenden Diskriminierungsschutz sei aber auch ein gesellschaftliches Signal, das internationale Resonanz erzeugt. Es vermittelt die Zuversicht, dass wir uns den Barrieren und Ungleichbehandlungen in unserem Land bewusst sind und durch umfassenden effektiven Rechtsschutz und politische Maßnahmen konsequent dagegen angehen werden.

"Antidiskriminierung praktizieren"

16.08.2023 07:49
Beschwerden gegen Amazon, Ikea und die Autobauer VW, BMW und Mercedes-Benz
Gegen Amazon, Ikea und die Autobauer VW, BMW und Mercedes-Benz laufen Beschwerden von Menschenrechtsorganisationen.

Seit Anfang des Jahres verpflichtet das Lieferkettengesetz größere Unternehmen dazu, entlang ihrer Lieferketten auf die Einhaltung von Menschenrechten zu achten. Mittlerweile sind beim dafür zuständigen Bundesamt für Ausfuhrkontrolle (Bafa) 14 Beschwerden eingegangen, wie ein Sprecher der Behörde auf RND-Anfrage mitteilte und die Frankfurter Rundschau berichtet (16.9.23). Jede Beschwerde werde nun gründlich und individuell geprüft.

„Das Lieferkettengesetz war Anfang des Jahres in Kraft getreten. Unternehmen mit mehr als 3000 Beschäftigten müssen nun dafür Sorge tragen, dass Menschenrechte in ihren Lieferketten eingehalten werden, es also beispielsweise nicht zu Kinderarbeit kommt. Zudem sollen bestimmte Umweltstandards erfüllt werden. Kommen sie dem nicht nach, kann das Bafa auf Nachbesserung pochen. Bei schwerwiegenden Verletzungen drohen Bußgelder von bis zu acht Millionen Euro oder bis zu zwei Prozent des Jahresumsatzes. Ab 2024 soll das Gesetz auf Unternehmen mit mehr als 1000 Beschäftigten ausgeweitet werden.

Nach den ersten Monaten fällt die Bilanz gemischt aus. Unter anderem die Berlin ansässige Menschenrechtsorganisation ECCHR (European Center for Constitutional and Human Rights) hat gegen mehrere Unternehmen Beschwerde eingereicht. Gemeinsam mit dem Frauenrechtsverein Femnet und einer Gewerkschaft aus Bangladesch hat die NGO dabei Amazon und Ikea Deutschland ins Visier genommen. Der Grund: Fabriken in Bangladesch würden nicht ausreichend kontrolliert und gefährdeten somit die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten.

Ikea erklärte auf Anfrage, dass man den Fall sorgfältig untersuche und dabei eng mit dem Bafa in allen Punkten zusammenarbeite. Amazon verwies darauf, dass man sich dem Respekt vor Menschenrechten und Umweltschutz verpflichtet habe – und bei Zulieferern klare Anforderungen bei den Lieferkettenstandards setze.
Vorwurf der Zwangsarbeit

Die Kritik der ECCHR richtet sich aber auch gegen deutsche Autobauer. Die Organisation hat gegen Volkswagen, BMW und Mercedes-Benz Beschwerde eingelegt, weil sie es „versäumt haben, angemessene Maßnahmen zu ergreifen, um die erheblichen Risiken der Zwangsarbeit durch die Gruppe der Uiguren in ihrer chinesischen Produktionskette zu erkennen und zu bekämpfen“, erklärte der Sprecher. Die NGO verweist dabei auch auf einen Bericht der Sheffield Hallam Universität, die bei Autobauern ein großes Risiko sieht, dass es entlang der Lieferkette zu Zwangsarbeit gekommen sein könnte. Mercedes-Benz erklärte auf Anfrage, dass eine solche Beschwerde nicht vorliege, verwies aber mit Blick auf den Sheffield-Bericht darauf, dass man mit Lieferanten in Kontakte stehe und in Fällen von Vorwürfen auf eine Klärung dringe. Auch Volkswagen liegt die Beschwerde nicht vor – ein Konzernsprecher erklärte allerdings, dass man jegliche Form von Zwangsarbeit in allen Geschäftsbereichen klar ablehne. Eine Stellungnahme von BMW stand am Mittwoch noch aus. Der Arbeitgeberverband BDA steht dem Lieferkettengesetz derweil weiter skeptisch gegenüber.

Derweil wird bereits eine EU-weite Regelung vorbereitet. Die sogenannte Richtlinie zu „Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit“ gehen deutlich über das deutsche Lieferkettengesetz hinaus. Damit wären bereits Betriebe ab 250 beziehungsweise 500 Beschäftigten in der Pflicht, für die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltschutz entlang der Wertschöpfungskette zu sorgen“.

Kommentar von Stefan Winter (S. 9):
„Das Lieferkettengesetz ist nötig, weil Firmen Selbstverpflichtungen selten umgesetzt haben und damit mitverantwortlich sind für katastrophale Zustände - etwa in asiatischen Textilfabriken.

Geht es um das Lieferkettengesetz, bekommen viele in der Wirtschaft Schaum vor dem Mund. Es gilt ihnen als Inbegriff wirkungsloser Bürokratiemonster, als Paradebeispiel für gut gemeint und schlecht gemacht. Man kann der Kritik am Gesetz in vielem folgen. Doch an einem Punkt endet das Verständnis: Es ist keineswegs so, dass deutsche Firmen in aller Welt die zu Hause üblichen Werte hochgehalten hätten. Die katastrophalen Zustände in asiatischen Textilfabriken, die maßgeblich zum Lieferkettengesetz führten, sind nur ein Beispiel von vielen, die den Anspruch widerlegen.

Und auf welchem Stand die Wirtschaft wäre, wenn öffentliche Debatten, neue Gesetze und Haftungsrisiken nicht den Druck erhöht hätten, ist eine andere Frage. Die in solchen Fällen gern als Alternative angebotene freiwillige Selbstverpflichtung hat selten funktioniert.

Der Unmut über Missstände staut sich ebenso lange auf, bis er sich in der Gesetzgebung mit Überdruck entlädt. Es geht eben doch nicht ohne. Die Unternehmen haben vielleicht einfach nur das Gesetz bekommen, das sie selbst provoziert hatten“.

10.08.2023 08:32
48 Prozent der Berufstätigen häufig gestresst - psychische Belastungen nehmen weiter zu
Depression, Angststörungen – Zahl der psychisch Erkrankten steigt deutlich. Die Kaufmännische Krankenkasse schlägt Alarm: Die Zahl der Arbeitnehmer, die vom täglichen Jobstress ernsthaft erkranken, ist sprunghaft gestiegen.

Man mag das Wort fast nicht mehr hören: Krise. Aber Krise ist derzeit überall, neben globalen Krisen gibt es persönliche – viele Menschen sind überlastet, leiden unter – echter oder empfundener – Ungerechtigkeit, die Inflation bedroht die finanzielle Sicherheit, und auch die Erfahrungen der Coronapandemie sind nicht vergessen. Das wirkt sich aus: Die psychische Belastung berufstätiger Menschen in Deutschland ist laut KKH Kaufmännische Krankenkasse im ersten Halbjahr 2023 drastisch gestiegen.

Den Beleg lieferten die Fehlzeiten wegen seelischer Leiden, die auf 303 Ausfalltage pro 100 Versicherte gestiegen seien, teilte die Kasse mit – ein Plus von 85 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. In der jüngeren Vergangenheit habe es einen solchen Anstieg nie gegeben. Im ersten Halbjahr 2022 waren es 164 Ausfalltage, in den ersten sechs Monaten 2021 noch 137. »Diese Entwicklung ist alarmierend, denn wir haben schon jetzt fast das Niveau des gesamten Jahres 2022 erreicht«, sagte die KKH-Arbeitspsychologin Antje Judick.

Denn im vergangenen Jahr registrierte die Krankenkasse 339 Fehltage pro 100 Versicherte wegen Depressionen, Anpassungs- oder Angststörungen. 2021 und 2020 waren es 287 und im Vor-Corona-Jahr 2019 rund 274 Tage. Für die Untersuchung wertete die KKH die Zahl der Kalendertage mit ärztlichem Attest von pflichtversicherten und freiwillig versicherten eigenen Mitgliedern aus. Die KKH ist nach eigenen Angaben eine der größten bundesweiten gesetzlichen Krankenkassen mit mehr als 1,6 Millionen Mitgliedern.

Zunehmend langwierige Erkrankungen

»Der besonders starke Zuwachs bei den Fehlzeiten deutet darauf hin, dass es zunehmend schwere, langwierige Fälle von psychischen Erkrankungen gibt«, erklärte Judick. Das bereite Sorgen – auch mit Blick auf die Beschäftigten, die die Arbeitsausfälle abfedern müssten. Auch sie könnten erschöpfungsbedingte psychische Leiden entwickeln.

Eine repräsentative Forsa-Umfrage im Auftrag der Krankenkasse bestätigt: Der Stresslevel der Berufstätigen ist hoch. 90 Prozent von ihnen fühlten sich zumindest gelegentlich gestresst, rund die Hälfte davon häufig oder sehr häufig, ergab die Studie. Dafür waren im Mai bundesweit 1004 Menschen im Alter von 18 bis 70 Jahren befragt worden – darunter 722 Berufstätige.

Knapp 60 Prozent der Berufstätigen sprachen von zunehmendem Stress in den vergangenen ein bis zwei Jahren. Neben Ausbildung und Beruf sowie Krisen wie Klimawandel und Inflation (je 47 Prozent) sind es demnach vor allem hohe Ansprüche an sich selbst (51 Prozent), die die Menschen als stressig empfinden. Auch die ständige Erreichbarkeit via Smartphone (37 Prozent) sowie finanzielle Sorgen (24 Prozent) verursachen Stress. Fast zwei Drittel der Berufstätigen fühlen sich erschöpft und ausgebrannt, jede und jeder sechste Berufstätige leidet unter stressbedingten Angstzuständen.

Andere Studien ergaben ein ähnliches Bild: Laut einer Ende Februar vorgelegten repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ipsos im Auftrag des Versicherungskonzerns Axa bezeichnet sich fast ein Drittel der Befragten als psychisch erkrankt. Rund 32 Prozent erklärten, dass sie unter Depressionen, einer Angst- oder Essstörung, Zwangsneurose oder anderen psychischen Erkrankungen leiden. Insgesamt wurden im vergangenen Herbst 2000 Menschen zwischen 18 und 74 Jahren in Deutschland online befragt.

Laut der KKH-Untersuchung gingen die längsten Fehlzeiten von durchschnittlich 112 beziehungsweise 71 Tagen im ersten Halbjahr auf wiederkehrende Depressionen und depressive Episoden zurück. Am häufigsten hätten die Ärzte aber akute Belastungsreaktionen und Anpassungsstörungen diagnostiziert: Diese verursachten bei einem Anteil von 41 Prozent nicht nur die meisten psychisch bedingten Krankschreibungen, auch die Arbeitsunfähigkeitsquote stieg hier am stärksten – nämlich um 42 Prozent.

Das zeige, dass immer mehr Menschen »unter ungewöhnlichem Druck, großen Belastungen und Dauerstress stehen«, erklärte Judick.

Mit Material aus Spiegel Online, KKH und Forsa

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