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15.02.2024 15:38
Klimawandel, Krise und Unfairness  

Sicher: ein anspruchvolles Interview in der FR mit einer Philosophin zu Klimawandel und Krise, den Unterschied von Optimismus und Hoffnung, zu Tierleid und Risiken der Gesellschaft - das sich zu lesen lohnt - und etwas aussagt, über Fairness und Unfairness in unserer Zeit und Gesellschaft:

"Frau Professorin Pelluchon, wir leben in Zeiten der Krise, heißt es. Blickt man in die Geschichte, war dies immer die beste Phase der Philosophie. Richtig?

Es ist die große Zeit der Philosophie. Aber auch eine, in der viele Menschen weniger Demokratie fordern, um die Herausforderungen meistern zu können. Sie weigern sich, ihre Vorstellungen und Existenzweisen infrage zu stellen. Dabei werden wir mit Fragen konfrontiert, die Achtung vor der Welt erfordern. Die Gefahr eines Kollapses besonders durch die Klimaerwärmung legt unsere Verletzbarkeit offen. Wir sollten daher aufhören zu glauben, dass wir für alle Probleme immer eine Lösung hätten. Das haben wir nicht.

Viele Menschen reagieren eher mit Wut und Ignoranz …

Bei so vielen schlechten Nachrichten haben die Menschen die Tendenz, die Realität zu leugnen. Die negativen Emotionen, die durch Kriege und die Klimaerwärmung ausgelöst werden, sind allerdings psychisch und moralisch sehr schwierig. Viele versuchen, die schlechten Nachrichten zu verdrängen, um nicht darunter zu leiden. Das ist der Grund dafür, dass sie ihren Lebensstil nicht ändern, obwohl sie über genügend Informationen verfügen, dass wir dabei sind, den Planeten zu zerstören. Sie leugnen das Phänomen lieber, um ihre Todesangst zu kaschieren. Manche Menschen folgen eher politischen Führern, die die menschengemachte Erderwärmung leugnen, um den Herausforderungen nicht ins Auge sehen zu müssen. Und doch könnte es auch eine Chance sein, uns anders zu sehen und anders zu leben. Doch die Konsum- und Lebensgewohnheiten ändern sich nicht. Es ist eine gefährliche Lage, in der wir uns befinden.

Die Ungewissheit ist unser Alltag geworden?

Auf einer individuellen und kollektiven Ebene ist das der Fall. Die Herausforderung der Klimaerwärmung ist zu groß für uns. Das einzusehen, ist sehr schwierig für die, die gewohnt sind, alles zu kontrollieren und Probleme zu lösen. Diese Illusionen der Allmacht müssen aufgegeben werden. Das heißt, dass einige unserer Vorstellungen und Dogmen nicht mehr relevant sind, zum Beispiel unser Denken über den Fortschritt, den wir mit Konsum und Wachstum identifizieren. Diese Vorstellungen waren in der Vergangenheit relevant, aber sie haben sich überlebt.

Was kommt stattdessen?

Die derzeitige Lage ist sehr beängstigend. Wir wissen, was nicht mehr relevant ist, aber wir haben noch kein Wissen, was richtig sein könnte. Wir wissen nur von Unwissenheit und Gefahr. Es gibt keine umfassende Vorstellung, die uns in die Lage versetzt, eine Zukunft zu konfigurieren. Die Verzweiflung sucht uns heim, weil wir denken, dass es keine Zukunft gibt. Viele junge Menschen denken, dass es morgen schlechter wird als heute. Unter solchen Umständen leidet man. Man sperrt sich ein oder erträgt die Lage nicht mehr. Das hat Folgen. Um seine eigene Hilflosigkeit nicht mehr zu empfinden oder eine stellvertretende Allmacht zu spüren, ist die Versuchung groß, jenen zu folgen, die sich als allmächtig ausgeben.

Wir kommen nicht umhin, das Unmögliche zu durchqueren, schreiben Sie in Ihrem neuen Buch. Was heißt das?

Unsere Lage erfordert, das Unmögliche zu akzeptieren. Wenn man verzweifelt ist, glaubt man, dass die Nacht kein Ende hat. Statt zu kämpfen, muss man die Lage akzeptieren. Das klingt paradox. Aber wenn man darauf verzichtet, alles zu kontrollieren, erst dann kann man merken, dass es Leute gibt, die gute Dinge tun, dass es Vorzeichen eines neuen Zeitalters gibt, das die Zukunft öffnen könnte. So bezeichne ich das, was ich Hoffnung nenne: eine Erwartung, die noch nicht da ist, aber eine Ankündigung darstellt.

Eine Art Optimismus?

Der Optimismus ist eine Art Verleugnung. Er resultiert aus fehlender Ehrlichkeit, man macht glauben, dass man die Lösung für alle Probleme habe. Der Optimismus verschleiert also die Wirklichkeit. Die Hoffnung ist das Gegenteil von Optimismus. Man darf sie nicht mit Optimismus verwechseln.

Was sollen wir denn darunter verstehen?

Die Hoffnung besteht darin, trotz der Schwierigkeiten, denen wir uns gegenübersehen, dennoch die nicht spektakulären Zeichen zu bemerken. Erst das ermöglicht es, dass das Unerwartete eintritt. Hier ist es wichtig zu wissen, dass die Hoffnung erst kommt, wenn man es nicht erwartet. Sie ist das Unerwartete.

Was, wenn das Unerwartete nicht kommt?

Die negativen Emotionen, die mit dem Klimawandel verbunden sind, führen die Gefahr mit sich, dass sich das Leiden in Hass und Tyrannei verwandelt. Wenn man leidet, keine Zukunft mehr sieht, nicht mehr atmen kann, neigt man dazu, Scham zu empfinden, aber manchmal auch Hass. Deshalb hat die Verzweiflung eine destruktive Dialektik. Sie kann zu Selbstmord führen oder zu Groll und Destruktivität. Andererseits gibt es ohne die Durchquerung des Unmöglichen, ohne die Anerkennung seiner eigenen Grenzen und Fehlbarkeit, keine Möglichkeit, seine Existenzweise zu ändern. Für mich sind die negativen Emotionen wie Hilflosigkeit, Angst notwendige Stufen; nur so können alle lernen, dass die Lösungen nicht in unserem Besitz sind und wir lernen müssen, dass einige unserer Gewohnheiten nicht relevant sind. Die Spezifizität der Erderwärmung ist die Möglichkeit unserer Unmöglichkeit, es handelt sich um unseren Tod und die Zerstörung anderer Arten. Der Klimawandel ist eine Krisis, wobei das Wort zu schwach ist; es zeigt die Prekarität, die Verletzlichkeit unserer Zivilisation.

Was bedeutet das für jeden Einzelnen von uns?

Die Herausforderung ist zu viel für den Einzelnen. Diese Erfahrung erfordert Geduld und sogar Demut, die eine Bedingung für Mut ist. Wenn man akzeptiert, diese Schwierigkeit zu durchqueren, kann man Dinge bemerken, die man vorher nicht bemerkt hat. Charles Péguy hat Hoffnung mit einem kleinen Mädchen verglichen, das niemand sieht. Es ist die Fähigkeit, trotz der chaotischen Gegenwart die Vorboten zu bemerken, die eine Zukunft für uns eröffnen könnte. Natürlich ist das nicht sicher, dass es so kommt. Es gibt viele Kämpfe vor diesem Zeitalter der Lebendigkeit, wie ich es nenne. Alle negativen Nachrichten können dazu führen, dass wir die Realität durch die Gefängnisstäbe des Negativen sehen. Wie bei einer Depression trägt es dazu bei, dass man mehr und mehr leidet. Es gibt diese mögliche Destruktivität, die zur Katastrophe führt. Aber es gibt auch in dieser Lage Hoffnung, wenn wir demütig und mutig sind angesichts der Gefahren. Unsere beängstigende Lage hat bereits Folgen. Es gibt überall eine Zunahme der extremen Rechten. Es ist nicht voneinander zu trennen.

Was ist das große Problem am Optimismus? Der Psychologe Steven Pinker sagt, alles hat sich gut entwickelt, wir sollten optimistisch sein, wir nehmen die Welt nur falsch wahr. Sie streiten das ab, warum?

Optimismus und Pessimismus sind keine philosophischen Begriffe. Natürlich müssen wir in unserem Alltag Illusionen und Wünsche haben. Für Hoffnung gibt es zwei Bedeutungen, die das Französische kennt: l’espoir, die persönliche Erwartung, also meine Wünsche, und l’espérance, Hoffnung als theologische Tugend, die keinen persönlichen Sehnsüchten entspricht, sondern eine Beziehung zur Geschichte aufweist. Optimismus ist ein Trost, eine Lüge, eine Haltung, ach, morgen wird es besser, und ich habe Lösungen, etwa dass wir durch Technologien den Klimawandel aufhalten können. Das sagen einige. Einige sagen, es gibt Probleme, aber nicht so große. Das ist eine Lüge und ein Hindernis, denn so muss man seine Lebensweise nicht ändern. In dieser Hinsicht sind diejeinigen, die unter Depressionen leiden, als Wächter anzusehen, denn sie sagen angesichts der beschriebenen Haltung: Halt, der Optimismus ist eine Lüge. Sie zeigen ihr trauriges Gesicht, um zu demonstrieren, dass wir so nicht weiter leben können – und dabei auch den Tieren so viel Gewalt zufügen. Die Optimisten verweigern sich, sie wollen nichts ändern.

Aber ist das nicht etwas zu viel Schwarzmalerei? Es gibt ja auch Fortschritte.

Aber natürlich, es gibt Fortschritt. Sie und ich sind glücklich, der Arzt kann unser Leben retten, wir haben viele Vorteile durch die Technologie im täglichen Leben. Auch in der Moral, etwa bei Männern und Frauen, MeToo ist ein Zeichen des Fortschritts, weil die Gesellschaft ein paar Dinge nicht mehr akzeptiert. Ich will den Begriff des Fortschritts nicht über Bord werfen, aber man kann nicht sagen, alles ist perfekt. Optimismus ist also nicht nur eine Lüge, sondern auch ein Hindernis. Er ist eine Verleugnung. Es ist so schwierig, seine eigenen Illusionen zu verlieren, dass man die Neigung hat, zu vergessen und so zu tun, als ob es keine Probleme gäbe. Die Verdrängung unserer Angst, die Verleugnung unserer Todesangst hat dramatische Folgen; sie trägt dazu bei, dass wir uns wie starke Menschen sehen, weiter konsumieren und politische Führer wählen, die dem Bild der Allmacht entsprechen. Trotz der Informationen über den Klimawandel ändern die Menschen ihre Essgewohnheiten in Bezug auf Fleisch nicht. Und weil sie sich verloren fühlen, wollen sie einem Heroismus frönen, um das zu verschleiern. Wir alle haben viele Illusionen. Wir sind enttäuscht und fühlen uns angesichts der großen Gefahren hilflos. Wir leben in einer Ungewissheit, die unser Leben kennzeichnet.

Wie sollen wir dann in dieser Ungewissheit handeln?

Wenn wir diesen Mut haben, die Reife haben, sehen wir unserer Sterblichkeit und Verletzbarkeit und der unserer Zivilisation ins Auge. Erst wenn wir unsere Illusionen verlieren, gibt es etwas, das uns hilft: den dünnen Leitfaden, der uns mit den anderen Lebewesen verbindet. Es ist wie bei Derrida, der am Ende seines Lebens stand und sagte, man versteht, wenn nicht mehr viel Zeit ist. Dann hat man eine Achtsamkeit; man ist dazu fähig, die Schönheit zu bemerken und das Leben zu genießen, das ist meine eigene Erfahrung und die der jungen Leute, die unter Depression und Hilflosigkeit und Wut leiden. Der Grund ihres Leidens ist die Liebe zur Welt. Wenn sie ihre Emotionen mitteilen, dann bemerken sie, dass es Leute gibt, die viel Gutes hervorbringen, die gute und konkrete Dinge etwa in Bezug auf Landwirtschaft, Viehzucht, Erziehung und so weiter bringen. Von ihnen spricht man nicht, sondern nur von denen, die viel Lärm machen. Wir finden Mut, um Widerstand gegen Rechte zu haben. Hoffnung ist kein Diskurs, sondern eine Art Energie. Man hat die sanfte Macht, die Zukunft zu gestalten. Man hat wieder den Glauben an die Zukunft, obwohl man das Böse, die Gefahr sieht, der eigenen Fehlbarkeit ins Auge sieht.

Sie fordern eine neue Aufklärung, eine Art Aufklärung 2.0. Das Leid der Tiere verändere auch uns Menschen, schreiben Sie in Ihren Büchern. Wie steht es um das Leid der Tiere?

Wenn man sich um die Tiere kümmert, wenn man sich für sie interessiert, dann gibt es keinen Sonntag. Die Tiere leiden jeden Tag überall in der Welt. Die Menschen fügen ihnen unerträgliches Leid zu. Für mich ist die Tatsache, dass immer mehr Menschen sich um Tiere kümmern, ein Zeichen eines moralischen Fortschritts. Natürlich warten wir in der Produktionsweise auf Fortschritte, damit sich ihre Lage verbessert. Vor 20 Jahren, als ich mich um die Frage gekümmert habe, gab es nicht viele, die das Thema interessierte. Die Politiker sind etwas langsam, hören oft nicht zu, nehmen die Frage nicht ernst genug. Aber eine neue Aufklärung im „Zeitalter des Lebendigen“ ist wesentlich eine Haltung, ein Ethos, der darin besteht, seine eigene Gegenwart als Objekt seines Gedankens zu halten, um ihre Herausforderungen und Gefahren zu identifizieren. Das Laster unserer Zivilisation ist sozusagen die radikale Trennung von Mensch und Natur; die Tatsache, dass wir vergessen haben, dass auch wir Lebewesen sind. Es gibt große Unterschiede zum Tier, aber auch viele Gemeinsamkeiten; Empfindungsfähigkeit reicht aus, um Tieren Rechte zuzuschreiben. Es muss eine Aufklärung nach der Finsternis, nach Holocaust, Hiroshima, dem kolonialen Verbrechen sein. Sie muss die Wertschätzung („considération“) auf eine zivilisatorische Ebene stellen, die Trennung von Tier und Mensch muss überwunden werden, das leistet die Ökologie, eine Phänomenologie der Ernährung, die hier eine heilende Kraft hat.

Zur Person Corine Pelluchon, 1967 im Département Charente geboren, hat eine Philosophieprofessur an der Université Gustave Eiffel. Sie ist zudem Mitglied des Hannah Arendt Interdisciplinary Laboratory for Political Studies. Zudem arbeitete sie am „New Institute“ an dem Programm „The Human Condition in the 21st Century“. Ihre Schwerpunkte sind Moralphilosophie, Politische Philosophie sowie Angewandte Ethik. Im Februar erhielt sie in München den Günther- Anders-Preis für kritisches Denken. Ihr Buch „Das Zeitalter des Lebendigen. Eine neue Philosophie der Aufklärung“ ist 2021 in der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft Darmstadt erschienen.
Corine Pelluchon: Die Durchquerung des Unmöglichen: Hoffnung in Zeiten der Klimakatastrophe. München 2023. C.H.Beck. 159 Seiten, 22 Euro.

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