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15.09.2025 14:38
Faire Woche und das Schreddern des Lieferkettengesetzes
Ausgerechnet während der Fairen Woche Vom 12. bis zum 26. September wird das Deutsche Lieferkettengesetz gehäckselt.

In der Fairen Woche 2025 geht es um die biologische Vielfalt, denn durch die Zusammenarbeit mit Fair-Handels-Partner*innen weltweit wird die ökologische Vielfalt geschützt und gefördert. Mit nachhaltigen Anbaumethoden und Lieferketten leistet der Faire Handel einen wichtigen Beitrag zu den globalen Zielen der UN (SDG 15), um das Leben an Land zu bewahren.

Und es geht um die die Vielfalt der Menschen, denn hinter jedem fair gehandelten Produkt stehen Menschen mit ihren Geschichten, Erfahrungen und Herausforderungen. Besonders Kleinbäuer*innen spielen eine zentrale Rolle in der globalen Ernährungssicherung. Fairer Handel fördert ihre Entwicklung, unterstützt innovative Ansätze und stärkt den Dialog.

Und es geht um die Vielfalt des Engagements, denn der Faire Handel lebt von dem Engagement vieler Akteure, Produzent*innen, Händler*innen und Konsument*innen. Jede*r trägt dazu bei, die Idee einer gerechteren und nachhaltigen Welt voranzutreiben.

Doch vor allem Vertreter der Christlichen Union, ob demokratisch oder sozial, heizen die Deregulierung an. So Baden-Württembergs Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut und andere, die häufig über Verwandtschaftsbeziehungen eng mit Industrie und Handel verbunden sind. „Wir sollten unseren Unternehmen wieder mehr Vertrauen schenken“, verlangt die Ministerin in einer Reaktion auf das geänderte deutsche Lieferkettengesetz.

Ihr reicht nicht, dass die Bundesregierung die Berichtspflicht für Firmen gestrichen hat. Sie fordert, auch die Dokumentationspflicht abzuschaffen. Ganz offenbar glaubt sie nicht an die Fähigkeit der Hersteller, bei Einhaltung humanitärer und – eigentlich nicht unerheblich für eine Christdemokratin – auch christlicher Pflichten, wettbewerbsfähig zu bleiben. Vielmehr unterstellt sie, dass „Made in Germany“ ohne ausbeuterischen Neokolonialismus nicht funktioniert.

Dabei könnte Hoffmeister-Kraut ganz andere Wege gehen und sich auf Produzenten berufen, die ein strenges Lieferkettengesetz befürworten, hierzulande und anderswo in Europa. Genauer gesagt: Sie müsste sogar. Denn nach den Zahlen von Unicef arbeiten weltweit 54 Millionen Kinder, viele auf Kakaoplantagen. „Kakao für die bei uns so beliebte Schokolade wird vor allem in Côte d'Ivoire und Ghana angebaut“, schreibt das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen in einer aktuellen Analyse der Situation, „und leider werden für diese schwere Arbeit nach wie vor Kinder eingesetzt“.

So unterschiedliche Anbieter wie die Erfinder:innen der quadratischen Schokolade aus Waldenbuch oder der ebenfalls weltweit tätige Steirer Josef Zotter mit den rechteckigen Täfelchen in kreativer Verpackung („Ei am from Austria“) bejahen eine einschlägige Sorgfaltspflicht ohne Abstriche. „Unser Ziel ist es, transparente Lieferketten zu haben und eng mit den Menschen zusammenzuarbeiten, die den Kakao für uns anbauen“, erläutert Ritter-Sport (Umsatz 2024: 605 Millionen Euro) die eigenen Kakao-Partnerschaften. „Wir machen keinen Unterschied bei den Arbeitsbedingungen für unsere eigenen Mitarbeiter*innen oder unserer Lieferant*innen“, schreibt Zotter (Umsatz 2024: 38 Millionen Euro) in der staatlich zertifizierten Umwelterklärung mit der Begründung: „Wir tragen Verantwortung für alle Beteiligten“.

Hilft das Europäische Lieferkettengesetz? Noch in diesem Jahr soll der weitere Umgang mit der Lieferkettenrichtlinie zwischen Kommission, Europarat und Parlament verhandelt werden. Die SPD hat sich festgelegt. „Eine Abschaffung des EU-Lieferkettengesetzes liegt nicht auf dem Tisch“, sagt der Vorsitzende der sozialdemokratischen Abgeordneten aus Deutschland, René Repasi aus Karlsruhe. Weder im Parlament noch unter den EU-Staaten gebe es eine Mehrheit für einen solchen Schritt.

Der Professor für Europarecht an der Erasmus-Universität Rotterdam kann sich Änderungen vorstellen, „die Entlastungen für Unternehmen bedeuteten, das Ziel, Zwangsarbeit, Menschenrechtsverletzungen oder Umweltzerstörung einzudämmen, bleibt aber bestehen“.

Dass er am Ende Recht behält, ist noch lange nicht sicher. Hoffmeister-Kraut jedenfalls, die sich nicht mehr als Scharnier zwischen Herstellern und Gesetzgeber:innen versteht, sondern eher als Sprachrohr der Wirtschaft, stellt sich dagegen. Die geplanten EU-weiten Haftungsregeln müssen nach ihrer Ansicht dringend entschärft oder gleich ganz gestrichen werden. Und es folgt ein Satz, der sich liest, wie eine Bankrotterklärung für Geschäftsmodelle in „The Länd“ mit einem universellen und wertebasierten Anspruch: „Nur wenn die Politik auf 'Wirtschaft first' setzt, kann Europa im globalen Wettbewerb bestehen“.
Dabei wollte die CDU/CSU doch für Humanität, Ökologie und fairen Handel stehen. Ach ja, nur wenn es zu eigenen Gunsten geht.

((mit Material von Kontextwochenzeitung.de ))

11.09.2025 07:30
Justizministerin Stefanie Hubig will gegen verbale sexuelle Belästigung vorgehen.
Doch „Catcalling“ ist nicht der richtige Begriff dafür, findet die Journalistin Kristina Dunz in der Frankfurter Rundschau (11.9.25, S. 6) richtiger Weise: „Jetzt also „Catcalling“. Noch so ein Begriff, der leicht in die Irre führt und das Übel nicht an der Wurzel packt. Es handelt sich nämlich bei verbaler sexueller Belästigung, gegen die die neue Justizministerin als eine ihrer ersten Amtshandlungen vorgeht, nicht um Miezen, sondern um Mädchen und Frauen. Und es geht auch nicht um harmloses Hinterherschnalzen.

Den Begriff „Catcalling“ sollte Stefanie Hubig (SPD) deshalb als Erstes durch eine treffende Bezeichnung ersetzen. Dann gewinnt die Debatte vielleicht eher die Aufgeschlossenheit in der Gesellschaft, sich in Zeiten internationaler Kriegsbedrohungen und nationaler Wirtschaftskrise auch dieses Problems bewusst zu machen.

Es gibt eine Grenze, an der ein Kompliment endet und die Verletzung von Gefühlen beginnt und verbale sexuelle Belästigung traumatisierend ist. In erster Linie trifft es Mädchen und Frauen, die sich schwer wehren können und genau deshalb in der Regel von Männern ins Visier genommen werden.

Jedes Bemühen, das zu unterbinden, ist richtig. Im Idealfall würde ein neuer Straftatbestand (vermutlich eine Geldbuße), wie ihn Hubig unter Berufung auf den Koalitionsvertrag prüfen will, Männer (in seltenen Fällen sind es Frauen) von dreckigen, einschüchternden Sprüchen abhalten.

Im schlechtesten Fall wird das Ringen zwischen SPD und Union jetzt aber dazu führen, dass Menschen – ob aus Wut oder tatsächlicher Verunsicherung – sagen, dass man ja nichts mehr sagen darf.

Wir müssen uns etwas bewahren: einen ganz normalen Umgang zwischen den Geschlechtern. Anerkennung ist schön, sexuelle Belästigung ist schlimm. Das wissen alle. Deshalb dürfen wir uns weiterhin echte Komplimente machen und Verbal-Tätern sagen, dass sie ihr Maul halten sollen.

Die SPD hat die Forderung nach neuen Strafen für verbale sexuelle Belästigung verteidigt. Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Dirk Wiese, sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, er sehe kein Problem mit der Abgrenzbarkeit zu „normalen“ Komplimenten. „Das halte ich für eine Scheindebatte, die ein existierendes Problem lächerlich machen will.“ Er vertraue darauf, dass die Justiz das gut gegeneinander abwägen könne - so wie Richter:innen es auch bei Beleidigungen jeden Tag täten.

Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) hatte zuvor einen neuen Straftatbestand für verbale sexuelle Belästigung – sogenanntes „Catcalling“ – vorgeschlagen. Der Koalitionspartner ist allerdings skeptisch, ob es der richtige Weg ist, dies explizit unter Strafe zu stellen.

Die rechtspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Susanne Hierl (CSU), sagt: „Es ist beschämend, wie häufig Frauen Opfer von respektlosem und verletzendem Verhalten werden.“ Es gebe aber bereits verschiedene Straftatbestände wie Beleidigung und Nötigung, um dagegen vorzugehen. Gegen Äußerungen, die unter die Schwelle der bereits existierenden Kriterien fielen, werde es nur schwer möglich sein, Regeln zu finden, die sich in der Praxis umsetzen ließen. „Neue Straftatbestände führen nicht zwangsläufig zu mehr Sicherheit, sondern können auch Unklarheiten schaffen“.

Es sei im Koalitionsvertrag aber vereinbart, die Frage zu prüfen. Und wenn das Justizministerium dazu konkrete Vorschläge mache, werde man sich die ansehen. Die SPD betont, dass nicht jedes unerwünschte Kompliment, nicht jedes Nachpfeifen, Kussgeräusch oder Stöhnen gleich sanktioniert werden soll, sondern nur „erhebliche verbale und nicht-körperliche sexuelle Belästigungen“. Aber wie lässt sich die Grenze ziehen?

Vorfälle gibt es jedenfalls viele. In sozialen Medien teilen Frauen aus verschiedenen Städten auf Accounts unter dem Namen „catcallsof…“ reihenweise ihre Erfahrungen mit vulgären Kommentaren oder sexuellen Einschüchterungen im öffentlichen Raum: Ein Mann, der eine Frau in der U-Bahn anstarrt und sich an den Penis fasst. Ein vorbeifahrendes Auto, aus dem jemand brüllt: „Zeig mal deine Pussy“. Ein Fußgänger, der im Vorbeigehen sagt: „geiler Arsch“ oder „man kann deine Nippel sehen.“ Ein Fahrradfahrer, der eine junge Frau umkreist und dabei obszöne Kommentare macht.

Was von solchen Beispielen aus Hubigs Sicht strafbar sein sollte, muss die Ministerin nun durchdeklinieren".

02.09.2025 12:35
Unfaire Arbeit anders bestimmen
In meinem ersten Praktikum durfte ich manuell eine Excel-Tabelle mit 10 000 Zeilen bereinigen. Ich war schon nach wenigen Tagen so gelangweilt, dass ich das Praktikum fast abgebrochen hätte, schreibt Dennis Fischer in der Frankfurter Rundschau heute.

"Eine aktuelle Studie aus Stanford trägt den hübschen Titel „Kanarienvögel in der Zeche?“ und warnt: Künstliche Intelligenz trifft vor allem Einsteiger-Jobs. Sie kann Präsentationen auf Einsteigerniveau erstellen, juristische Texte zusammenkopieren oder Exceltabellen bereinigen. Genau jene Aufgaben also, mit denen Generationen von Berufseinsteiger:innen hingehalten wurden. Aber mal ehrlich: Waren das jemals gute Einstiegsaufgaben?

Der amerikanische Kulturanthropologe David Graeber hat solche Tätigkeiten schon 2018 als „Bullshit-Jobs“ bezeichnet. Menschenunwürdig, weil man weiß, dass sie niemandem nützen. Wenn junge Menschen ihre ersten Arbeitsmonate damit verbringen, Folien zu verschönern oder Mails zu beantworten, die niemand liest, brauchen wir uns nicht wundern, dass sie innerlich kündigen, bevor sie überhaupt im Berufsleben angekommen sind.

Bietet KI auch Chancen im Job?

Früher sah menschenunwürdige Arbeit anders aus. 2018 wurde in Bottrop die letzte Zeche geschlossen. Wer heute auf die Zahl der Grubenunglücke schaut, ist froh, dass niemand mehr sein Leben riskieren muss, um Kohle aus dem Berg zu holen. In ein paar Jahren werden unsere Kinder ähnlich fassungslos fragen: „Ihr habt acht Stunden am Tag PowerPoint gebaut? Ihr habt drei Tage lang Tabellen befüllt?“

Und genau hier liegt die Chance der KI. Sie nimmt uns diese sinnlosen Aufgaben ab. Sie verschickt Mails, die keiner lesen möchte. Sie pflegt Listen, die niemand braucht.

Junge Berufseinsteiger muss man ernst nehmen

Die falsche Antwort ist jetzt allerdings: Keine jungen Menschen mehr einzustellen. Wir dürfen Einsteiger:innen nicht länger mit Alibi-Aufgaben abspeisen, sondern sie vom ersten Tag an ernst nehmen. Wer komplexe Probleme lösen darf, Verantwortung übernimmt und eigene Ideen einbringen kann, entwickelt Motivation statt Resignation.


Schon heute zeigt der Gallup-Engagement-Index: Nur neun Prozent der Beschäftigten in Deutschland fühlen sich ihrem Job wirklich verbunden. Wenn wir die nächste Generation mit sinnvollen Aufgaben starten lassen, können wir hoffentlich dieses Muster durchbrechen. Dafür braucht es Führungskräfte, die erklären, begleiten, Vertrauen schenken. Doch genau hier entscheidet sich, ob Organisationen in Zukunft Talente gewinnen oder verlieren!"

Der Autor ist Keynote-Speaker zu Future Skills und Autor.

29.08.2025 07:50
Einladung zu 25 Jahre Fairness-Stiftung in Frankfurt: Und trotzdem fair? Anständig handeln in unanständigen Zeiten
Das Programm zum 6.9.25 gibt es hier in der linken Spalte der Website zum Zoomen. Auf Wunsch mailen wir es zu,

Eintritt frei. Um Anmeldung wird gebeten bis 31. August 2025 an: [email protected]

21.08.2025 09:03
Große Emittenten können für Klimarisiken haftbar gemacht werden
Oberlandesgericht fällt Grundsatzentscheidung:

In einem richtungsweisenden Urteil hat das Oberlandesgericht Hamm am 28. Mai bestätigt, dass große Emittenten nach deutschem Zivilrecht grundsätzlich für die Folgen ihrer Treibhausgasemissionen zur Verantwortung gezogen werden können.

Am 24. November 2015 hatte der Bauer und Bergführer Saúl Luciano Lliuya vor einem deutschen Zivilgericht eine Klage gegen den Energiekonzern RWE eingereicht. Er beantragte, dass sich RWE anteilig – entsprechend dem Beitrag des Unternehmens zur globalen Erwärmung – an den Schutz- und Reparaturkosten seines Hauses beteilige. RWE argumentierte, dass es für die Ansprüche des Klägers keine Rechtsgrundlage gäbe und das Unternehmen nicht in Verantwortung gezogen werden könne.

Zwar wies das Gericht die Klage von Lliuya ab, doch die ausführliche Urteilsbegründung stellt klar, dass Unternehmen sowohl für ihre vergangenen als auch zukünftigen Emissionen haftbar gemacht werden können. Expert*innen werten das Urteil als Signal für die derzeit über 60 laufenden klimabezogenen Verfahren weltweit.

Mehr als 150 Unternehmen – darunter die Otto-Gruppe, Allianz und SAP – forderten die Europäische Union derweil auf, die Treibhausgasemissionen in der EU bis 2040 um mindestens 90 Prozent zu reduzieren.

15.08.2025 08:20
Unfaire Erfassung von Armut in unserer Gesellschaft?
Eine Forschergruppe wirft dem Statistischen Bundesamt vor, eine umstrittene Methode zur Erfassung von Betroffenen anzuwenden. Das berichten Tim Szent-Ivanyi und Markus Decker in der heutigen Frankfurter Rundschau (S. 11):

„Insgesamt 30 teilweise sehr bekannte Armutsforscherinnen und -forscher, wie der langjährige Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Ulrich Schneider, oder der Kölner Sozialwissenschaftler Christoph Butterwegge, werfen dem Statistischen Bundesamt vor, die Armutsquoten in Deutschland kleinrechnen zu wollen.

In einem Protestbrief an die Präsidentin des Statistischen Bundesamtes, Ruth Brand, der dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) vorliegt, beklagen sie, dass die Statistiker:innen ihre Berechnungsmethode auf eine Variante (EU-SILC/MZ-SILC) reduziert und die Ergebnisse einer anderen Variante (MZ-Kern) von der Homepage gelöscht hätten. Schneider sagte dem RND, der Vorgang sei „brisant“, da nach der verbliebenen Berechnungsmethode die Armutsquote deutschlandweit 2023 bei 15,5 Prozent lag, nach der nun gelöschten aber bei 16,6 Prozent. „Das heißt, nach den nun nur noch ausgewiesenen Zahlen ist die Armut mal eben um mehr als eine Million Menschen geringer. Da drängt sich schon die Frage nach Manipulation oder doch zumindest einem interessengeleiteten Vorgehen auf.“

Dass die Ergebnisse der zweiten Berechnungsmethode nicht mehr veröffentlicht würden und nach Darstellung der Autor:innen rückwirkend gelöscht wurden, betrachten die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner „als einen nicht akzeptablen Eingriff in die wissenschaftliche Freiheit“. Es grenze „an behördliche Willkür, wenn ein Bundesamt Ergebnisse von allgemeinem wissenschaftlichen und öffentlichen Interesse zurückhält und damit die gesamte Fachdiskussion und öffentliche Rezeption beschnitten werden“. Womöglich sollten diese Ergebnisse „in eine bestimmte Richtung gelenkt werden“. Die Autorinnen und Autoren des Briefes fordern Brand auf, die Entscheidung rückgängig zu machen.

Als armutsgefährdet gilt, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens hat. Die Berechnungsmethoden unterscheiden sich insbesondere bei der Definition und Erfassung des Haushaltsnettoeinkommens. Das Statistische Bundesamt begründet die Umstellung mit einer EU-weiten Vergleichbarkeit. Bei dieser Methode würden die Einkommensarten jeweils einzeln und ausführlich abgefragt statt nur als Gesamtsumme, so die Behörde. So könne eher als im bisherigen Verfahren vermieden werden, dass auskunftspflichtige Einkommen, die insbesondere nicht aus Erwerbsarbeit stammen, unabsichtlich unberücksichtigt blieben. Das betreffe zum Beispiel staatliche Leistungen wie Kindergeld, Kinderzuschlag, Bafög, Pflegegeld oder Wohngeld.

Die Armutsforscher:innen lassen das nicht gelten. Die Ansicht, wonach die neue Methode methodisch überlegen sei, sei in der Fachwelt speziell unter dem Aspekt der Berechnung von Einkommensarmut nicht ungeteilt, kritisieren sie in ihrem Protestbrief.

Im Jahr 2024 galten rund 13,1 Millionen Menschen als armutsgefährdet. Das war im Vergleich zu 2023 ein Anstieg um etwas mehr als ein Prozentpunkt. 2024 lag der Schwellenwert von 60 Prozent des mittleren Einkommens für einen Alleinlebenden bei 1378 Euro netto im Monat, für Haushalte mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern unter 14 Jahren bei 2893 Euro. Die Zahl der „von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedrohten“ Menschen, die über die reine Armutsgefährdung hinausgeht, lag 2024 mit 17,6 Millionen noch deutlich höher. Zuletzt sorgte die Nachricht für Aufsehen, dass sich jeder und jede Fünfte in Deutschland keinen einwöchigen Urlaub leisten kann.

Als besondere Risikogruppen gelten Arbeitslose, Menschen mit niedrigem Bildungsstand, Alleinerziehende und Familien mit vielen Kindern. Zuletzt warnte die Präsidentin des Deutschen Roten Kreuzes, Gerda Hasselfeldt, ferner davor, dass Pflegebedürftigkeit ebenfalls zur Armutsfalle zu werden drohe, weil die Selbstbeteiligung von 3000 Euro pro Heimplatz für zahlreiche Betroffene nicht mehr zu stemmen sei. Zugleich habe sich die Zahl der Pflegebedürftigen innerhalb der vergangenen 20 Jahre verdoppelt und werde weiter steigen.

Schließlich gibt es regionale Risikofaktoren. So sind Einkommen und Vermögen in Ostdeutschland nach wie vor deutlich geringer als im Westen. Dass die Lebenshaltungskosten dort ebenfalls geringer sind, gleicht das Gefälle nicht aus.

Ende Juni hatte die Mindestlohnkommission beschlossen, den gesetzlichen Mindestlohn bis 2027 in zwei Schritten über zunächst 13,90 Euro auf 14,60 Euro pro Stunde anzuheben. Von dem ersten Schritt werden laut Statistischem Bundesamt zum 1. Januar 2026 deutschlandweit bis zu 6,6 Millionen Berufstätige profitieren. Demnach lag zuletzt etwa jedes sechste Beschäftigungsverhältnis rechnerisch unterhalb des dann geplanten Mindestlohns von 13,90 Euro pro Stunde. Besondere Nutznießer der geplanten Erhöhung: Frauen und Ostdeutsche. Aus der zweiten Anhebung auf 14,60 Euro würden maximal 8,3 Millionen Beschäftigte einen Nutzen ziehen. Die SPD hatte eine Erhöhung auf 15 Euro gefordert.

Überdies arbeitet Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) an einer Reform des Bürgergeldes. Hier geht es unter anderem um die Frage, welche Regeln für Menschen gelten sollen, die eine ihnen zumutbare Arbeit verweigern“.

12.08.2025 09:45
200 Fußballstadien randvoll mit weggeworfener Kleidung jährlich - unfair gegenüber Natur, Mensch und Sozialsystemen
Die Folgen von Fast Fashion Kleidung ergeben in der Menge 200 gefüllte Fußballstadien, die im Müll landen.
Sieben- bis zehnmal tragen Menschen im Schnitt ein Kleidungsstück. Dann schmeißen sie es weg, wie eine BCG-Analyse zeigt. Um die wachsenden Textilmüllberge einzudämmen, bräuchte es besseres Recycling.

Jahr für Jahr landen weltweit rund 120 Millionen Tonnen Kleidung im Müll. Das sei genug, um mehr als 200 Fußballstadien bis obenhin zu füllen, schreibt die Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG) in einer neuen Analyse zur Textilwirtschaft.

Mögliche systematische Verbesserungen könnten die Recyclingquote jedoch auf mehr als 30 Prozent steigern und neue Fasern mit einem Rohstoffwert von mehr als 50 Milliarden Dollar hervorbringen, heißt es weiter.

Ein Großteil der weggeworfenen Kleidung wurde demnach kaum genutzt: Im Schnitt tragen Käufer ein Kleidungsstück laut BCG nur sieben- bis zehnmal, bevor sie es wegschmeißen.

80 Prozent des Kleidermülls lande anschließend auf Deponien oder werde direkt verbrannt. Nur zwölf Prozent werden wiederverwendet. Und nur ein Prozent des Kleidermülls werde zu neuen Fasern recycelt. Einer der größten Second-Hand-Märkte der Welt ist in Accra, Ghana: die Kleidung kommt meist aus dem Westen und was nicht brauchbar ist, wird weggeschmissen.

Der Aufbau einer Kreislaufwirtschaft in der Textilbranche sei daher keine Zukunftsvision, sondern ein Gebot der ökologischen und ökonomischen Vernunft, so BCG. Es brauche keine Einzelinitiativen, sondern branchenweite Lösungen, um recycelte Materialien leichter verfügbar für Hersteller und Konsumenten zu machen. Als Beispiele nennt BCG etwa vereinfachte Rücknahmesysteme, neue Sortiertechnologien oder auch chemisches Recycling, um Mischgewebe besser verarbeiten zu können.

Geht es so weiter, könnte der jährliche Müllberg der Beratung zufolge bis 2030 auf mehr als 150 Millionen Tonnen wachsen. Das wäre dann genug, um 260 Fußballstadien zu füllen. Im Norden Chiles türmen sich Kleiderberge laut BCG schon heute so hoch, dass sie selbst aus dem All zu erkennen sind.

Gebrauchte Textilien werden häufig in afrikanische Länder wie Ghana oder Kenia exportiert, wo viele auf riesigen Müllkippen landen.
kko/dpa

"Kleidung und Mode 2010 auf dem Fairness-Forum""

01.08.2025 10:01
Fakten gegen Fake - Den Holocaust-Lügen auf der Spur
Das Museum Auschwitz-Birkenau hat eine Kampagne zur Bekämpfung von Holocaust-Leugnung im Internet gestartet. Userinnen und User sollen selbst gegen holocaustleugnende Aussagen in den Online-Netzwerken vorgehen können, wie die Gedenkstätte auf dem Gelände des nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslagers am Mittwoch mitteilte. Die Gedenkstätte stellt dazu unter dem Motto "Stop Denial" (Schluss mit der Leugnung) auf ihrer Website historische Dokumente, Fotos, Zeitzeugenberichte und Forschungsergebnisse zur Verfügung, um geschichtsfälschende Aussagen zu entkräften.

"Wider die Holocaust-Leugnung - Lügen und Fakten"

25.07.2025 12:26
Furchtbarer Kaffee - furchtbare Unfairness
Stellen Sie sich vor, Sie stehen vor Sonnenaufgang auf, um 17 Stunden lang ununterbrochen Kaffee zu pflücken. Ohne sauberes Trinkwasser. Ohne Toilette. Ohne Vertrag oder angemessenes Mindesteinkommen. Für Millionen von Arbeitskräften weltweit ist dies die Realität hinter unserer morgendlichen Tasse Kaffee. [1] So viel zum vorherigen Blogbeitrag über Fairen Handel.

Noch schlimmer? Viele dieser Farmen sind durch Zertifizierungssysteme, die wir in unseren Regalen sehen, als „ethisch“ und „nachhaltig“ zertifiziert, wie Fairtrade International, Rainforest Alliance und 4C. Sie versehen Kaffeemarken mit Wohlfühl-Labels – ohne jedoch Menschen oder die Umwelt wirklich zu schützen. [2]

Das ist ein Betrug, der gutgläubige Verbraucher*innen wie uns täuscht. Aber neue Untersuchungen erschüttern die Branche. [3] Wenn wir jetzt handeln, können wir das Blatt wenden. Schreibt WeMove Europe (https://wemove.eu/de).

Diese Zertifizierer sind keine großen Unternehmen mit juristischer Schlagkraft. Sie leben vom Vertrauen – und wenn wir ihre Versäumnisse aufdecken, geraten sie in Panik. Das ist unsere Stärke. Ein großer Appell mit Tausenden von Unterschriften wird ihnen zeigen, dass wir sie beobachten – und dass wir echte Reformen erwarten.

Wenn Sie jetzt unterschreiben, werden Sie Teil einer europaweiten Bewegung für fairen Kaffee. Dann gehen wir gemeinsam den nächsten Schritt: Wir werden in unseren Ländern Beschwerden wegen irreführender Werbung einreichen, um die Kaffee-Zertifizierer unter Druck zu setzen, damit sie ihr Verhalten dringend ändern – oder ihre Glaubwürdigkeit verlieren.

Wir haben uns mit Expert*innen zusammengetan, die seit Jahren Missstände in der Kaffeeindustrie aufdecken. Gemeinsam können wir die Zertifizierer dazu zwingen, die Ausbeutung nicht länger zu billigen. Und wir können ein existenzsicherndes Einkommen für Landarbeiter, Kleinbauern und Kleinbäuerinnen sowie die Rechenschaftspflicht der Kaffeeindustrie einfordern.

Wir haben uns schon einmal für Arbeitnehmerrechte eingesetzt – und gewonnen! Über 100.000 von uns unterzeichneten einen Appell, und Hunderte wandten sich an Politiker*innen, um faire Bedingungen für Beschäftigte auf Plattformen wie Uber zu fordern. Dadurch erhielten Tausende von Plattformarbeiter*innen endlich die Rechte, die ihnen zu lange vorenthalten worden waren: Mindestlohn, Krankengeld und lebenswichtigen Arbeitnehmerschutz. [4]

Nicht nur die Menschen leiden. Kaffeegiganten roden unsere Wälder. Allein 2017 zerstörten sie so viele Bäume, als hätte es 4,5 Millionen zusätzliche Autos auf den Straßen gegeben. Das entspricht einer Anzahl von Autos, die dreimal Stoßstange an Stoßstange von Lissabon nach Warschau und zurück reichen würden. [5]

Kaffeezertifizierer arbeiten Hand in Hand mit diesen Unternehmen, um den Missbrauch zu vertuschen und Greenwashing zu betreiben.

Unser Kaffee darf weder die Würde der Menschen noch den Planeten kosten. Setzen Sie sich mit Ihrem Namen für wirklich fairen und nachhaltigen Kaffee ein – angefangen mit einer ehrlichen Zertifizierung.

In Solidarität mit Kaffeebauern und Kaffeebäuerinnen weltweit,
Olga (Warschau), Hajar (Brüssel), Rebecca (Berlin) und das gesamte WeMove Europe-Team
PS: Rund die Hälfte des weltweiten Kaffees ist zertifiziert. [6] Wenn wir diesen Kampf gewinnen, verändern wir nicht nur eine Marke – wir verändern das gesamte System.

Referenzen:
[1] https://www.somo.nl/bitter-brew/ https://verite.org/project/coffee-3/ https://coffeewatch.org/coffee-and-human-rights-abuses/
[2] siehe [1]
[3] https://coffeewatch.org/the-worlds-best-coffee/ https://konzernverantwortung.ch/beispiele/syngenta-kaffee-von-farmen-mit-sklavereiahnlichen-arbeitsbedingungen/ https://stories.publiceye.ch/nestle-coffee/ https://reporterbrasil.org.br/2023/11/starbucks-slave-and-child-labour-found-at-certified-coffee-farms-in-minas-gerais/
[4] https://www.etuc.org/en/pressrelease/platform-work-trade-unions-win-millions-workers
WeMove Europe: Uber, von den Arbeitnehmern besiegt!
[5] https://www.forest-trends.org/wp-content/uploads/2021/02/10-things-to-know-about-coffee-production.pdf https://coffeewatch.org/coffee-and-environmental-problems/
[6] https://www.cbi.eu/market-information/coffee/multi-certified-coffee/market-potential

24.07.2025 09:14
Fairer Handel bedeutsamer denn je - Guatemala-Kooperative unter Druck
Mit einem Plus von 11 Prozent erreichte der Gesamtumsatz mit Produkten aus Fairem Handelin 2024 einen neuen Höchstwert von rund 2,6 Milliarden Euro. Dieser beruht vor allem auf höheren Absatzmengen bei zentralen Produkten wie Kaffee und Schokolade – und das trotz hoher Rohstoffpreise.

„Fairer Handel steht für Verlässlichkeit in Krisenzeiten und für soziale sowie ökologische Verantwortung entlang globaler Lieferketten. Angesichts von Klimakrise, wachsender Ungleichheit und gesellschaftlicher Spaltung ist das heute wichtiger denn je“, erklärt Andrea Fütterer, Vorstandsvorsitzende des Forum Fairer Handel (FFH), anlässlich seiner Jahrespressekonferenz (Pressekontakt: Katrin Frank, Forum Fairer Handel e.V., Tel.: 030 – 28045259, E-Mail: [email protected]).

„Die Zahlen des Geschäftsjahres 2024 zeigen: Fairer Handel bleibt gefragt – sogar in wirtschaftlich herausfordernden Zeiten“, so Matthias Fiedler, FFH-Geschäftsführer. So wuchs der Umsatz mit Fairtrade-gesiegelten Produkten im vergangenen Jahr um 13 Prozent. Die anerkannten Fair-Handels-Unternehmen konnten eine Umsatzsteigerung von rund 9 Prozent verbuchen. Die Weltläden und Weltgruppen in Deutschland konnten ihren Gesamtumsatz im Vergleich zu 2023 halten – den schwierigen Bedingungen im stationären Einzelhandel zum Trotz. Durchschnittlich 31 Euro gaben die Verbraucher*innen in Deutschland 2024 für faire Produkte aus. Ein Blick auf benachbarte europäische Länder wie die Schweiz, Österreich und Frankreich zeigt jedoch, dass hier noch viel Luft nach oben ist.

Politischer Rückhalt für nachhaltige Lieferketten und globale Gerechtigkeit im Minus

„Während die Absätze der wichtigsten Produktkategorien im Fairen Handel allesamt gestiegen sind und die Unterstützung für Themen der Nachhaltigkeit in der Bevölkerung wächst, gibt es von politischer Seite wieder starken Gegenwind“, konstatiert Andrea Fütterer. „Ein Beispiel: Die Lieferkettengesetze in Deutschland und der EU sind wichtige Meilensteine für die Durchsetzung unternehmerischer Sorgfaltspflichten, doch sie stehen aktuell massiv unter Druck“, warnt Matthias Fiedler. „Verantwortungsvolles Unternehmertum darf nicht als bürokratisches Hindernis abgetan werden, sondern muss als das begriffen werden, was es ist: die Verpflichtung von Unternehmen, Menschenrechte und ökologische Standards einzuhalten. Das geht nur, wenn alle mitmachen und deshalb braucht es starke Regeln für Unternehmen.“

Machtkonzentration im Lebensmitteleinzelhandel schadet Produzent*innen

„Zu diesen starken Regeln gehören auch politische Weichenstellungen, um die Machtkonzentration in Lieferketten und im Lebensmitteleinzelhandel zu begrenzen und eine faire Verteilung der Wertschöpfung zu ermöglichen“, betont Fiedler. Viele Produzent*innen im Lebensmittelsektor sind von wenigen Abnehmern abhängig und häufig unlauteren Handelspraktiken und Preisdrückerei ausgesetzt. Dies ist beispielsweise auch im Kaffeesektor der Fall. Zwar profitieren die Produzent*innen derzeit von einem hohen Weltmarktpreis für Kaffee. Doch an ihrer prekären Stellung in der konventionellen Lieferkette hat sich nichts geändert. „Unsere Handelspartner wünschen sich für die Zukunft vor allem mehr Stabilität und größere Absätze über den Fairen Handel“, erläutert Andrea Fütterer. „Und sie wünschen sich die ideelle und finanzielle Anerkennung der großen Anstrengungen und Mehrleistungen, mit denen sie zu Umweltschutz, Ernährungs- und Zukunftssicherung für uns alle beitragen.“

Blick nach vorn – jetzt erst recht

Trotz der Herausforderungen bleibt der Blick nach vorn gerichtet. „Unsere Branche zeigt tagtäglich, dass faires Wirtschaften möglich ist“, so Fütterer. „Aber es braucht mehr: Mehr zukunftsfähige Politik, mehr Unterstützung für gemeinwohlorientierte Unternehmen und mehr Orte, an denen gerechter Wandel konkret erlebbar wird.“

Es gibt auch fairen Handel außerhalb der im Forum Fairer Handel zusammengeschlossenen Unternehmen. So beispielsweise https://www.action365.de/verlag/kaffee.asp mit dem 100%-Hochland-Kaffee indigena einer Kooperative in Guatemala. In dem Dachverband sind 148 lokale Kaffeebauern-Genossenschaften im guatemaltekischen Hochland organisiert, denen rund 23.000 Kleinbauernfamilien angehören. Weil Guatemalas Wirtschaft sehr von der engen Verstrickung großer Unternehmen mit Politik und Militär geprägt ist, ist der Druck auf die Genossenschaft sehr groß ist, weil sie dem Einfluss der Unternehmerschaft und Politik widersteht. Daher ist die Partnerschaft seit 1973 mit der action365 in Deutschland sehr wichtig.

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