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05.12.2012 16:11
Wie Casting- und Talkshows um die Realität betrügen  

Bohlen, Klum und Katzenberger spielen die Hauptrolle in "Hohle Idole“. So der Titel der Studie von Bernd Gäbler für die Otto Brenner-Stiftung. Sie zeigt, warum diese „Ikonen“ besonders bei Jugendlichen so erfolgreich sind.

"Bohlen, Klum und Katzenberger werden als Ikonen einer neuen „Ökonomie der Aufmerksamkeit“ vorgestellt", heißt es in Gäblers Studie, "die allgemeine Tendenzen des Unterhaltungsfernsehens verkörpern. Während diese Fernsehformate spielerisch Ratschläge für ein erfolgreiches Leben zu geben scheinen, vermitteln sie direkt oder indirekt Normen, Werte und Haltungen, die tief in den Alltag besonders von Jugendlichen wirken. Bohlen, Klum und Katzenberger treffen zielgenau auf die soziale Unsicherheit jugendlicher Zuschauer. Das heimliche Curriculum stimmt nachdenklich: Was zählt, sind Äußerlichkeiten. Selbstvermarktung und Design treten an die Stelle von Substanz, Kompetenz und Qualifikation. Die Dramaturgie der Sendungen wird schonungslos entziffert, die Protagonisten von Casting-Shows und Doku-Soap werden als „Hohle Idole“ kritisier".

Gäbler stellt exemplarisch fest zum Stichwort Macht: „Würden wir die Konstellation der Mitwirkenden an einer Casting-Show als Machtgefüge deuten, verfügten die Kandidaten über die geringste Macht: Sie tragen vor, sie liefern sich aus, sie sind immer nur Objekt der Beurteilung.“

Zum Stichwort Sexismus: „Symptomatisch für den Umgang von 'Germany's next Topmodel' mit den Körpern ist das immer wieder gern genommene „Body-Painting“. Es erlaubt, die jungen weiblichen Körper nackt zu zeigen, aber doch
so zu tun, als seien sie bedeckt.“

Zum Stichwort Inszenierung: „Es ist das Fernsehen, das erst die Wirklichkeit ersinnt, über die es hinterher 'dokumentarisch' berichtet.“

Vo seiner Casting-Studie hat Gäbler eine beachtenswerte Talkshow-Studie verfasst. Talkshows sind allgegenwärtig. Aber sind sie menschen- und sachgerecht? Tragen sie zur Willensbildung, zur Information, zur Debatte, zum fairen Umgang miteinander bei?

Daran gibt es erhebliche und begründete Zweifel. Das belegt eine „Talkshow-Studie, die Bernd Gäbler erstellt hat. Der Journalist, ehemalige Geschäftsführer des Adolf-Grimme-Institut und Medienkolumnist auf Stern online sind in den Talkshows keine wirkliche Bereicherung der Informationslage, der Bildungs- und Kulturlandschaft, des politischen Diskurses.

In seiner Studie heißt es unter anderem: „Kontroversen werden in der Regel nicht rationalisiert, sondern psychologisiert. Komplexe Entscheidungen werden gerne auf Ja/Nein-Schemata „heruntergebrochenen“. In erschütternder Penetranz diskutieren die immer wieder gleichen Gäste in sich wiederholenden Konstellationen. Nicht die Logik des Arguments zählt, sondern der sympathische Gesamteindruck.

Die Gäste müssen fernsehgerecht agieren, also beharrlich bei ihrer Meinung bleiben, die sie sicher verlautbaren. Sie müssen schlagfertig sein und auf Pointe hin sprechen können. Im Zweifelsfall ist der Show-Wert wichtiger als die Kompetenz. Die Talkshows haben Nachfrage geschaffen für den Typus des „unterhaltsamen Politikers“. Sie prägen wesentlich das Image einzelner Politiker. Sie sind - freilich nicht risikofreie -Bühnen für deren Selbstinszenierung. In der Regel verdeutlicht die Talkshow, ob ein Diskutant selbstbewusst und dominant auftritt oder unsicher ist und sich in die Enge treiben lässt. Die Kluft zwischen Politik-Darstellung und realer Verhandlungs- und Entscheidungspolitik wird
größer.

Wichtige gesellschaftliche Akteure wie Wirtschaftslenker, bedeutende Künstler oder junge Wissenschaftler, praktische Reformer und selbst Bürgermeister von Großstädten kommen nicht vor. Stattdessen sind einige alte Männer (Arnulf Baring, Hans-Olaf Henkel) als „Talkshow- Mobiliar“ allgegenwärtig. Andere werden reflexhaft zu bestimmten Themen eingeladen (Lauterbach – Gesundheit; Fussek – Pflege; Siggelkow - Armut; Pfeiffer – Jugendgewalt). „Meinungs-Slots“ müssen „gefüllt“ werden. Wie ein „one trick pony“ (Robert Pfaller) soll der Gast die festgelegte Rolle konsequent durchhalten und dabei „authentisch“ wirken.

Die Lebendigkeit der Talkshows resultiert im wesentlichen aus den redaktionellen Dramaturgien. Trotz unterschiedlicher Akzentsetzungen im Einzelnen – von der Arena bis zum Zirkus - verlaufen sie meist nach dem Schema von Konflikt und Konsens. Zuerst wird der Konflikt in einem Dualismus extremer Positionen verdeutlicht, dann folgt der Appell zur Versöhnung und Zusammenarbeit. Durch viele einzelne Elemente und Gimmicks – vom „Einspielfilm“ bis zum „Anklatscher“ - wird einer meist schnell redundanten Debatte immer wieder neuer Schwung verliehen. Wechselseitige Überzeugung, Nachdenklichkeit, sich verändernde Auffassungen, die Freude am Austausch der Argumente – also alles das, was einen voraussetzungslosen freien Disput ausmachen würde – spielt in der Polit-Talkshow kaum eine Rolle“.

Und erst damit kann Fairness ins Spiel kommen und die Befassung mit einem Thema menschen- und sachgerecht und damit fair sein – oder eben auch nicht. Doch bei der Anlage der Talkshows überwiegt der unfaire Umgang mit dem Publikum, mit dem Thema, mit den beteiligten Personen, die meist lediglich Rollenstereotype erfüllen müssen.

Gäbler: „In jüngster Zeit lähmt nicht mehr so sehr der Partei-Proporz die Talkshows, sondern die ständige Inszenierung einer Zwei-Welten-Lehre zwischen Politik und Lebenswirklichkeit. Häufig sind allenfalls noch zwei von fünf Positionen mit Politikern besetzt. Meist vertreten sie Regierung und Opposition. Zwischentöne interessieren weniger. Die liebste Konstellation der Talkshows im letzten Vierteljahr lautete Union vs. Grüne. Gemessen an ihrer parlamentarischen Stärke ist die FDP über- die SPD unterrepräsentiert. Sozialdemokraten interessieren vor allem noch als sozialpolitische Kontrahenten zu Neoliberalen. In Kontroverse zu den Politikern treten oft Journalisten als Anwälte der Bürger auf. „Experten“ pro und contra ergänzen das Tableau. Brav spielen auch „Betroffene“ in den Talkshows die ihnen zugewiesenen Rollen. Ihre Auftritte sind eine Art „scripted reality“ für die
gehobenen Stände.

In den Talkshow-Redaktionen arbeiten clevere Optimierer. Ihre Kriterien sind Quote und Unterhaltungswert, nicht Neugier auf gesellschaftliche und politische Entwicklungen oder gar der Drang nach Aufklärung. Immer häufiger klammern sich die Talkshows als „Trittbrettfahrer“ an populäre Filme im Vorprogramm. Das Problem der Talkshows ist nicht, dass sie besser werden müssten, sondern dass sie an ihrer eigenen Routine und Orthodoxie zu ersticken drohen. (…)

Es kommt nicht darauf an, die Talkshow neu zu interpretieren oder die bestehenden
Formate noch weiter gemäß der Sehgewohnheiten zu optimieren, sondern endlich einmal
wieder zu experimentieren: mit konkreten Themen, Jugendforen, entscheidungsnahen
Diskursen, unorthodoxen Konstellationen oder sogar open-end-Debatten. Mehr Neugier, mehr
Filmkunst und neue Formen der Kombination von Reportage und Diskussion würden die
Bedeutung des Fernsehens für die politische Willensbildung unterstreichen“.

Und exemplarische Gesprächs- und Debattenkultur, die Menschen durch das Zuschauen lernen lässt, wie faire und sachgerechte Diskussionen aussehen und weiterbringen können. Es könnte die Gesprächs- und Kommunikationskultur im ganzen Land anregen und voran bringen. Und Casting-Shows, die demokratische und ethische Grundorientierungen in den Vordergrund stellen sowie zur Auseinandersetzung mit eigenen Gewohnheiten und Anforderungen eines humanen und zivilen Miteinanders thematisieren, würden junge Leute wichtige Impulse zur Entwicklung geben - anstatt lediglich auf konventionelle und modische Trends zu prägen.
http://www.otto-brenner-stiftung.de/uploads/tx_mpnews/2012_10_22_PM_Hohle_Idole.pdf
http://www.wdr5.de/sendungen/toene-texte-bilder/2012/november/hohle-idole-studie-ueber-tv-promis.html
http://kurier.at/kultur/medien/anpassung-und-gehorsam/1.296.403
http://www.heise.de/tp/artikel/37/37992/1.html


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