Die Aufregung bei Konsumenten in osteuropäischen Ländern ist groß. Wie sich durch Studien herausstellte, werden den Konsumenten in unterschiedlichen europäischen Ländern unter den gleichen Markennamen höchst unterschiedliche Inhaltsstoffe angeboten. In der Slowakei fand das Landwirtschaftsministerium bei 22 internationalen Markenprodukten eklatante Unterschiede zwischen einzelnen Ländern. In der Slowakei verkaufte Wurst enthielt beispielsweise weniger Fleisch, dafür mehr Fett und Flüssigkeit als das westeuropäische Produkt der gleichen Marke. Eine Studie der Universität Prag im Auftrag einer EU-Abgeordneten hatte schon 2015 festgestellt, dass in Tschechien verkaufte Pepsi mit Sirup gesüßt wird statt wie in Deutschland mit echtem Zucker. In tschechischer Sprite steckte auch das billigere Süßungsmittel Aspartam. Tschechische Fischstäbchen von Iglo enthielten sieben Prozent weniger Fisch als deutsche.
„Bekommen Osteuropäer Nutella, Cola und Co. nur als Billig-Variante?“, fragt der Stern in seiner neuesten Ausgabe. „Politiker und Verbraucherschützer schäumen: Angeblich sind Lebensmittel internationaler Hersteller in Osteuropa von minderer Qualität. Auf jeden Fall unterscheiden sich die Rezepturen“. In gleicher Weise berichten auch die Nachrichtenagentur Reuters und der Süddeutsche Zeitung. Es heißt dort: „In Ungarn fanden Prüfer heraus, dass Waffeln in Österreich bedeutend knuspriger sind und Nutella viel cremiger ist als im eigenen Land“. Und „in tschechischen Fischstäbchen von Iglo ist sieben Prozent weniger Fisch drin“. Der tschechische Landwirtschaftsminister Marian Jurecka sagte, dass man sich als "Mülleimer Europas" fühle. Deshalb haben die vier Visegrád-Staaten Tschechien, Polen, Ungarn und Slowakei eine EU-Initiative verabredet. Der Druck auf Brüssel soll in der Causa erhöht werden. Ziel ist es, gegen unterschiedliche Rezepturen vorzugehen, solange sie denn einen angeblichen Qualitätsunterschied bedeuten. "Es darf keine EU-Bürger erster und zweiter Klasse geben", erklärte der slowakische Regierungschef Robert Fico.
Die Süddeutsche Zeitung stellt fest: „Für westliche Lebensmittelkonzerne wie den Nutella-Hersteller Ferrero oder den Sprite-Mutterkonzern Coca Cola ist der Vorwurf der Diskriminierung heikel. Dementsprechend zurückhaltend reagieren die Firmen bislang. Coca-Cola erklärte gegenüber einer tschechischen EU-Abgeordneten, die Entscheidung für die Süßung der Getränke obliege dem einheimischen Abfüller der Getränke. Die individuelle Rezeptur basiere auf örtlichen Geschmackstests - und Geschmäcker seien nun mal unterschiedlich. Im Übrigen sei die tschechische Rezeptur mit der in Spanien oder in den USA vergleichbar. Auch Ferrero beruft sich auf unterschiedliche Geschmäcker. In Frankreich sei Nutella beispielsweise flüssiger, damit Franzosen den Aufstrich besser auf dem weicheren Weißbrot verteilen könnten, erklärte die Firma.
Der Wiener Manner-Konzern bestritt hingegen, dass es Qualitätsunterschiede gebe. "Diese Vorwürfe stimmen einfach nicht für Manner", sagte eine Sprecherin der Firma der österreichischen Tageszeitung Die Presse. Es gebe nur ein einziges Rezept der Waffeln, eine Umstellung der Produktion für verschiedene Märkte erfolge nicht. "Aber es gibt natürlich Firmen, die das machen", so die Sprecherin.
Andere Firmen berufen sich auf die geringere Kaufkraft in Osteuropa: Da die Preise in Osteuropa geringer seien, könne die Qualität der Produkte nicht dieselbe sein. Doch dieses Argument trifft nicht überall zu. So ist zwar in Polen hergestelltes Nutella laut dem tschechischen Verbrauchermagazin dTest rund ein Fünftel günstiger als das deutsche. Hingegen ist Fleisch und Fisch laut der Studie der Universität Prag in Osteuropa häufig sogar teurer. Wegen der stärkeren Konkurrenz in Westeuropa seien viele Lebensmittel dort günstiger, sagte der Chef des slowakischen Verbraucherschutzverbands Miloš Lauko dem Deutschlandfunk. "Das Argument, die Qualität werde wegen der niedrigeren Preise reduziert, ist also falsch."
Rechtlich ist die Sache klar: Solange Hersteller die genauen Inhaltsstoffe auf der Verpackung angeben, ist eine unterschiedliche Zusammensetzung europarechtlich nicht zu beanstanden. Für Brüssel zählt allein eine korrekte Information der Verbraucher - neben der Sicherheit der Produkte. So bleibt auch bislang vage, was genau die Osteuropäer mit ihrem Vorstoß erreichen wollen. Laut einer Erklärung des tschechischen Premierministers Bohuslav Sobotka soll es darum gehen, dass innerhalb des EU-Binnenmarkts bei gleicher Verpackung eines Produkts die gleiche Qualität garantiert sein soll. Angesichts der komplizierten Herstellung von Lebensmitteln, die für verschiedene Länder häufig in unterschiedlichen Fabriken mit unterschiedlichen Lieferanten erfolgt, rechnen Experten der Initiative der Osteuropäer aber eher geringe Chancen aus.
Für Europa wiegt auf lange Sicht wohl etwas anderes schwerer: Ein großer Teil des Kontinents fühlt sich jeden Tag an der Supermarkttheke als Bürger zweiter Klasse. Das Image der EU dürfte dieses Gefühl bei vielen Osteuropäern eher nicht heben“.
Spiegel Online schreibt am 8.3.2017: "unabhängige Verbraucherschützer sind vorsichtig. "Das Problem existiert offenbar, allerdings sind die Untersuchungen der Behörden bisher nicht sehr gründlich", sagt die Umwelt- und Verbraucherrechtlerin Anikó Haraszti vom "Verein bewusster Konsumenten" (TVE) in Budapest. In welchem Ausmaß die Formel "gleiche Marke, schlechtere Qualität" stimme, lasse sich erst durch umfassende systematische Untersuchungen klären, die die Behörden vornehmen müssten, so Haraszti. Die Verbraucherschützerin weist jedoch auf ein ganz allgemeines Problem des osteuropäischen Lebensmittelmarktes hin: Das Angebot an billigen und schlechten Lebensmitteln voller Zusatz- und Konservierungsstoffe ist generell weitaus größer als in westlichen Ländern".
Konsumenten dürfen in europäischen Ländern erwarten, dass sie fair behandelt werden. Und nicht erst im kleingedruckten Klebeschild auf den Produkten lesen und dieses auch noch auf Produkten aus anderen Ländern vergleichen müssen. Konsumenten, die zu Markenware greifen, gehen von einer gleichbleibenden Qualität und Zusammensetzung der Inhaltsstoffe aus. Gerade darum haben die Marken ihre europäische Anerkennung als Marke. Die Markenproduzenten sägen an ihrem wichtigsten Ast: Markenorientierung der Verbraucher durch Markenversprechen.
"Die Süddeutsche Zeitung am 5.3.2017 Zu den Lebensmitteltricks der Markenproduzenten im europäischen Markt"
"Der Sternam 5.3.2017 zur Ungleichbehandlung der europäischen Verbraucher durch Markentricks"
|